Daten sind seine Welt

Donnerstag, 20.02.2020
Chief Strategy Officer von Swisscom, Produktmanagement-Direktor von Google, Mitbegründer und CEO von 1plusX AG - wenn es um Digitalisierung geht, ist Südstern Jürgen Galler ganz vorne dabei. Im Gespräch mit ihm haben wir einen Einblick in seine abwechslungsreiche Karriere bekommen und ganz nebenbei wichtige Fragen zur Digitalisierung gestellt

Eigentlich wollte Jürgen Galler Musiker werden. Bei der Musikkapelle in Algund spielte er Querflöte, Klassik gefiel ihm. Dass er die Handelsoberschule besuchte, lag mehr an seinem Vater. Der war Buchhalter und fand, dass es keine geeignetere Ausbildung für einen jungen Menschen gab. Schließlich hat in der Familie bisher noch jeder diese Schule besucht.

Galler folgte der Empfehlung des Vaters und setzte sich trotzdem durch, denn nebenher besuchte er das Konservatorium in Bozen.  Am Ende gab die Musiklehrerin den Ausschlag für die spätere Berufswahl. „Ein Talent zum Solospieler hast du nicht.” Er nahm es sportlich und fragte sich, welche Branche Zukunft habe. 

Gallers Vater hatte in den Siebzigern bereits eines der ersten Datenverarbeitungszentren des Landes eröffnet (EDV – Meran). Dafür interessierte sich der Sohn bisher denkbar wenig. „Mit Computern hatte ich nichts am Hut”, sagt er, „aber es faszinierte mich, was sie in der Organisation leisten können”. Und weil er schon immer ergebnisorientiert dachte, schrieb er sich in Linz für Wirtschaftsinformatik ein. 

Schon während des Studiums gründet er mit ein paar Kollegen ein Unternehmen, das Software entwickelte, unter anderem für Banken. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand damals wie heute die Frage, wie ein Unternehmen unter Zuhilfenahme eines Computers einen Mehrwert aus Daten erzeugen und sie dann irgendwo wirtschaftlich gewinnbringend oder inhaltlich einsetzen kann. 

Nach dem Studium ging Galler nach Singapur und machte ein Praktikum bei IBM. Er kehrte zurück und promovierte bei Professor Scheer an der Universität des Saarlandes. Nächste Station Asien: In Korea baute er eine Software-Beratungsfirma mit auf, dann folgten viele Jahre in Japan und der Wechsel zur Digital-Unit von Bertelsmann (Lycos Bertelsmann), wo er die Produktverantwortung für den Bereich „Communication & Communities“ übernahm und schließlich von Spanien aus Internetprodukte entwickelte und managte. Zu der Zeit gründete er nochmal eine Firma, die dann zum Teil an Nokia verkauft wurde. 

Als Google auf ihn aufmerksam wurde und ihm 2007 die europaweite Produktmanagementverantwortung für Consumer Produkte (Google Suche, Google News, etc.) anbot, musste er nicht lange überlegen. Genauso wenig wie fünf Jahre später, als er von Swisscom abgeworben wurde. Sein neuer Job: Strategievorstand. Dass er nur etwas länger als ein Jahr beim Schweizer Telekommunikationsunternehmen blieb, hat mit Carsten Schloter zu tun. Der Top-Manager des Unternehmens nahm sich das Leben und Galler stellte sich plötzlich die Frage: „Was will ich eigentlich?” Und die Antwort war: „Selbstständig sein.”

2015 gründete Galler mit Kollegen wieder ein Unternehmen: die 1plusX AG. Der Erfolg gibt ihm Recht: Mittlerweile ist die Daten-Management-Plattform im Bereich User-Data-Management für Medienunternehmen Marktführer im deutschsprachigen Raum. Zu den Kunden gehören Branchengrößen wie Axel Springer, Tamedia und Styria. 

Seine Südtiroler Herkunft ist Jürgen Galler nicht mehr anzuhören. Zu sehr haben die Jahre in Österreich und Deutschland abgefärbt. Im Job kommuniziert der 53-Jährige ohnehin nur auf Englisch. „Seit zwölf Jahren lebe ich in Zürich, das färbt auch ab.” Einmal im Jahr schafft er es noch nach Algund. Aber das, was er an den Südtirolern so liebt, die Offenheit Neuem gegenüber, die soziale Intelligenz, das Macher-Gen, findet er, der Netzwerker, mittlerweile auch andernorts: In Zürich hat er einen Kreis Südtiroler Freunde. 

Wo die Daten herkommen, wie sie entstehen, wie man sie einsetzen kann und nicht zuletzt, wie aus riesigem Datenvolumen neue Dienste abgeleitet werden können, um sie für bestimmte Zielgruppen einzusetzen, das fasziniert Jürgen Galler nach wie vor. Für Südstern hat er ein paar wichtige Fragen zur Digitalisierung beantwortet: 

Warum haben so viele Menschen Angst vor Digitalisierung?

Weil es neu ist. Neue Dinge verändern dein Leben, sie verändern, wie du mit Menschen kommunizierst, wie du Informationen einholen musst, wie du Dienstleistungen buchst. Ich bin jetzt 53. Viele aus meiner Generation fühlen sich davon überfordert, auch, weil sie sich zu wenig damit auseinandersetzen. Die junge Generation hat keine Angst davor, sie bewegt sich im Digitalisierungsraum völlig fließend. Ältere Menschen haben Berührungsängste, weil sie befürchten, zu viel von sich preiszugeben nach dem Motto „Das Internet vergisst nicht”. Für mich ist Digitalisierung etwas sehr Positives, weil ich sehe, was sie bewirken kann. 

Was fällt dir als erstes ein? 

Digitalisierung macht Dinge transparent, etwa auf politischer oder ökologischer Ebene, die man früher gar nicht gesehen hat. Natürlich wird dadurch auch vieles manipulierbar. Gerade jetzt befinden wir uns in einer Phase, in der wir neue Spielregeln aufstellen müssen, damit es nicht zum Missbrauch kommt. 

Soll ich mich von Digitalisierung vollkommen einnehmen lassen?

Nein, natürlich nicht. Aber man sollte sie auch nicht ausklammern, ganz einfach, weil man zu viel verpasst. Es heißt ja nicht, dass man ständig über alle Kanäle verbunden sein muss. Ich bin auch nicht bei Facebook, und mache abends lieber eine Runde mit meinem Hund als aufs Handy zu schauen. 

Warum kommt ein Unternehmen um Digitalisierung nicht herum?

Sie erhöht die Prozessgeschwindigkeit, sie hilft, Kosten zu sparen, bessere Serviceleistungen zu bieten. Kunden erwarten eine digitalisierte Kommunikation, sie wollen per Mail oder auf Facebook in Austausch mit einem Unternehmen sein. Wenn ich von unterwegs nicht zugreifen kann, ist das ein klares No-Go. Ein Unternehmen, das da nicht mitzieht, wird Kunden verlieren oder gar nicht erst gewinnen.  Die Frage, wo ich Kunden finde und wie ich sie anspreche, verschiebt sich. Man muss sich nur den Werbemarkt anschauen. 

Früher waren TV, Radio und Print DIE Medien für Kundengewinnung. Heute hat das Internet in dem Bereich extrem zugenommen. Wenn ich nicht verstehe, wie ich mich dort präsentieren muss, dann verliere ich einen wichtigen Kundengewinnungskanal. Und dann gibt es auch andere, interne Gründe für die Bedeutung der Digitalisierung: Junge Mitarbeiter wollen ihre Meetings online buchen, sie wollen Infos austauschen, den Gehaltsüberblick einsehen. Gibt es dieses digitale Package nicht, fühlen sie sich eingeschränkt. 

Sind am Ende Daten das wertvollste Gut eines Unternehmens?

Es sind immer noch die Mitarbeiter. Mein Großvater war Obsthändler. Seinen Handel organisierte er über Karteikärtchen, auf denen er die wichtigsten Informationen notierte. Er hatte eine Sortiermaschine, was den Rest betrifft, vertraute er auf seine Mitarbeiter. Heute haben Daten einen anderen Stellenwert, weil sie umfangreicher verfügbar sind und schneller zu Ergebnissen führen. Handel wird heute vielfach von automatischen Systemen durchgeführt. Aber dort, wo Daten produktiv eingesetzt werden, braucht es wie damals Menschen, die wissen, wie man mit ihnen umgeht. 

Wird es bei der Digitalisierung irgendwann ein Ende geben?

Wir stehen an einem Punkt, an dem viele Menschen den Eindruck haben, von der Digitalisierung überrollt zu werden. Wir fragen uns, ob wir den Einsatz von Handys, Videos und Fotos einschränken sollten und ob wir einen Überkonsum von Digitalisierung bei Jugendlichen haben. Andererseits stehen wir bei manchen Möglichkeiten der Digitalisierung noch am Anfang. So wird die künstliche Intelligenz in den kommenden Jahren noch viele Branchen stark verändern, etwa in Bezug auf Logistik und Controlling. Das bedeutet, dass die Digitalisierung noch weiter zunehmen wird. Wir als „Nutzer“ sind allerdings bereits heute in Teilen überfordert und müssen daher für unseren persönlichen Konsum verbesserte Regeln finden. Ob Zürich, Berlin oder New York: Diese Fragen beschäftigen Menschen auf der ganzen Welt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass das irgendwann zu einer Bewegung führen wird ähnlich wie „Fridays for Future”, die sagt: Wir müssen einen Weg zurück finden. 

Was wäre ein gesunder Umgang?

Es ist wie beim Essen. Wir Menschen mussten im Laufe der Zeit erst lernen, wie viel und was uns wirklich gut tut. Wir wissen noch nicht, wie viel Digitalisierung wir brauchen, um ein besseres Leben zu führen. Diese Balance zu finden, das wird für uns alle noch eine wichtige Aufgabe. 

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