Bei Elektronen und Atomen ist sie daheim

Freitag, 22.01.2021
Es ist nicht so, dass Anna Galler immer schon Forscherin werden wollte. Dafür hat sie einfach zu viele Interessen. Dann entschied sie sich doch für Physik – und studierte nebenbei noch Philosophie. Seit mittlerweile drei Jahren arbeitet sie als Wissenschaftlerin am Centre de Physique Théorique an der École Polytechnique in Paris und forscht zu Materialien für umweltfreundliche Technologien. Galler hat mit ihren 33 Jahren eine steile Karriere hingelegt. Im Interview erzählt die Futura-Preisträgerin, warum es Frauen in der Forschung immer noch schwerer haben und wie wichtig das Netzwerken in ihrem Beruf ist.

 

Du bist gerade mit dem Futura-Preis 2020 ausgezeichnet worden. Wie wichtig ist so eine Auszeichnung für eine Forscherin?

Es ist mehr als eine Wertschätzung für die Arbeit, es ist auch eine Motivation weiterzumachen. Vieles, was wir Forscher machen, läuft ja im Verborgenen ab. Über den Futura-Preis habe ich mich aber besonders gefreut. Ganz einfach, weil es eine Auszeichnung von „daheim“ ist.  

 

Auf ein Forschungsergebnis, das der Öffentlichkeit präsentiert wird…

… kommen ungleich mehr Forschungsansätze, die nicht zum gewünschten oder angenommenen Ziel führen. Umso erfreulicher ist es dann, wenn Ergebnisse auch in der Öffentlichkeit bekannt werden. Wir arbeiten an Fragestellungen, die vorher noch niemand untersucht hat und wissen vorab nicht, ob es funktioniert oder nicht. Das ist das Interessante am Beruf, auch wenn es nicht immer einfach ist. Ein Beispiel: Während meiner Dissertation habe ich an einem Projekt zu thermoelektrischen Materialien geforscht. Nach einem Jahr Arbeit habe ich verstanden, dass es nicht geht – die Methoden waren noch nicht so weit. Das sind frustrierende Momente. Und trotzdem fängt man wieder mit einem neuen Thema an. Ein Forscher braucht sehr viel Eigenmotivation. Und Ausdauer, immer wieder weiterzumachen. 

 

Wie findest du deine Forschungsthemen?

Wenn ich an einem Forschungsprojekt dran bin, entstehen eigentlich schon da neue Ideen. Das Problem sind eher zu viele Ansätze, die mich interessieren würden, als mangelnde Ideen.  

 

Ist Forschung Teamarbeit oder eher vom Konkurrenzgedanken und einem Sich-nicht-in-die-Karten-schauen-Lassen bestimmt?

Es ist eine Mischung von beidem. Teamarbeit ist sehr wichtig, die Projekte, an denen wir arbeiten, betreuen wir meistens mindestens zu zweit oder zu mehreren. Das gilt auch für die Publikationen. Auch wenn es einen Hauptverantwortlichen gibt, entsteht die Arbeit in der Gruppe. Natürlich gibt es auch Konkurrenz, besonders zu anderen Gruppen oder Universitäten. Es ist ein interessanter Beruf, und es gibt nicht so viele Stellen. Konkurrenz kann auch anspornen, wenn man zum Beispiel erfährt, dass jemand anderes gerade zu einem ähnlichen Thema forscht. 

 

Wie schnell Forschung Entwicklungen vorantreiben kann, sehen wir im Moment sehr gut. Aber ist es auch eine gute Zeit für die Forschung?

Stimmt, es passiert gerade sehr viel. Die Wissenschaft bekommt viel Anerkennung, aber auch Kritik. Wir theoretischen Forscher spüren die Pandemie wie viele andere auch: Wir müssen ins Homeoffice wechseln. Da muss man sich sehr viel mehr selbst motivieren.  

 

Warst du immer schon an Naturwissenschaften interessiert?

Es ist nicht der Fall, dass ich schon als kleines Mädchen Naturwissenschaftlerin hätte werden wollen. Das kam verstärkt erst in der Oberschulzeit. Wobei mir auch die Geisteswissenschaften gefallen haben. Während meines Physikstudiums habe ich mich deshalb auch noch für Philosophie inskribiert und den Bachelor gemacht. 

 

Welcher Philosoph wäre ein guter Physiker geworden?

Aristoteles auf jeden Fall. Die griechischen Naturphilosophen habe sich viele Fragen gestellt, an denen man heute noch forscht. Spannend oder?

Wie viele Frauen saßen mit dir in den Physik-Vorlesungen?

Damals waren es zehn, jetzt sind es vielleicht 20 Prozent. Aber je weiter der akademische Weg hin zum Doktorat geht, umso weniger werden es. Mein Schrödinger-Forschungsprojekt hier in Paris besteht im reinen wissenschaftlichen Arbeiten. An der TU Wien habe ich auch unterrichtet. Und dort einmal mehr gesehen, dass es für Frauen in gewissen Fächern immer noch schwierig ist.  

 

Nervt es, die Anzahl der Frauen in der Wissenschaft im Jahr 2021 überhaupt noch zum Thema machen zu müssen?

Ich glaube, es ist wichtig zu zeigen, dass es Frauen in der Forschung gibt. Weil es für junge Mädchen ein Ansporn sein kann, gerade weil sie es sich oft nicht zutrauen. 

 

Forschen Frauen anders?

Ich glaube nicht. Aber die Rahmenbedingungen sind andere, wenn es um die Zeit nach dem Studium geht. Während des Studiums ist genau definiert, was zu tun ist, welche Prüfungen zu machen sind, aber nach der Dissertation ist der Weg, den man gehen muss, um weiterzukommen, nicht klar vorgegeben. Da spielen auch informelle Netzwerke eine Rolle, und denen gehören viel mehr Männer an. Das macht es für Frauen automatisch schwieriger. Umso wichtiger finde ich, dass man sich nicht von seinem Weg abbringen oder einschüchtern lässt. 

 

Was sind deine Forschungsschwerpunkte?

Ich arbeite in der theoretischen Festkörperphysik, an neuen Materialien. Im Moment forsche ich zu so genannten Permanentmagneten, die in Motoren von Elektroautos oder in den Generatoren von Wind-Turbinen verwendet werden. Dabei geht es darum, noch effizientere Materialien im Bereich der neuen Energien zu finden. Ein hochaktuelles Thema. Wir machen die Grundlagenforschung dazu. Ausgehend von den Bestandteilen der Materialien berechnen wir physikalische Eigenschaften wie den Magnetismus, die elektrische Leitfähigkeit oder die Farbe. Es fasziniert mich, dass man ausgehend von so etwas Abstraktem, nämlich der quantenmechanischen Wechselwirkung der unzähligen Atome und Elektronen im Material, zu den handfesten Eigenschaften kommt. Wir machen das, um vorauszusagen, welches Material gut sein könnte. Dann müssen nicht erst 100 Experimente dazu gemacht werden. Unsere Projektpartner, im Fall der Magnete ist es die TU Darmstadt, stellen dann die Materialien auch her. 

 

Und dann forschst du zu Pigmenten. 

Genau. Sie haben bestimmte Farben, die man zum Färben von Plastik oder Lackierungen nimmt. Bisher enthalten solche Pigmente oft giftige Schwermetalle. Unsere Forschung zielt auch darauf ab, umweltfreundlichere Alternativen zu finden. 

 

Ein schöner Nebeneffekt deiner Arbeit?

Ja sicher. Denn natürlich ist die Grundlagenforschung wichtig. Aber es macht auch sehr viel Freude, an etwas zu forschen, das relevant ist und sogar etwas zum Positiven verändern kann. 

 

Du arbeitest seit 2017 in Paris und wirst bald an die TU Wien zurückkehren. Wie wichtig ist Internationalität in deinem Bereich?  

Die Forschung ist teilweise so spezialisiert, dass du den Beruf nur an bestimmten Universitäten der Welt ausüben kannst. Hauptsprache ist Englisch, weil in den verschiedenen Gruppen Menschen aus der ganzen Welt arbeiten. Es ist ein sehr internationaler Beruf. Bis man eine permanente Stelle gefunden hat, gehört viel Wandel zum Berufsbild. Es wird nie langweilig. 

 

Wie wichtig ist das Netzwerken?

Die Forscherin und der Forscher  im Elfenbeinturm sind eine längst überholte Vorstellung. Austausch ist wichtig für die Karriere. Man muss auch netzwerken, um weiterzukommen. 

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