Sein Beruf? Eine Mischung aus Handwerk, Kunst und Hochleistungssport

Dienstag, 09.03.2021
Es gibt Menschen, die scheuen Veränderung. Wenn es um Musik geht, sucht Johannes Pramsohler gerade das. Wendepunkte in der Musikgeschichte, die alles auf den Kopf gestellt haben. Die findet der Geiger in der Zeit des Barocks und beim Aufspüren in Vergessenheit geratener Komponisten. Im Interview erzählt der Südstern, warum er sich Sorgen über die Zukunft der Kultur macht und wie er dazu beitragen kann, dass Menschen klassische Musik besser verstehen.

 

Johannes, du hast dich der Barockmusik verschrieben. Was interessiert einen jungen Musiker an der Alten Musik?

Es sind die Scharnierpunkte, die eine andere Richtung vorgeben, die mich interessieren. Zurzeit arbeiten wir im Ensemble Diderot an französischen Violinkonzerten aus dem Barock. In Frankreich wurde die Musik zum damaligen Zeitpunkt von Ludwig XIV. diktiert und hatte die Aufgabe, den König zu repräsentieren und damit die Größe der Nation. Musik war entweder zum Tanzen da oder für die Oper, aber Instrumentalmusik, ein Konzert, eine Sonate, das hat es nicht gegeben. Diese Art der Musik kam aus Italien und alle französischen Komponisten waren davon begeistert. Aber das Monopol lag beim Musikmeister des Königs – und der wollte seinen Stil beibehalten. 

 

Und das Publikum?

Die Leute haben nicht kapiert, dass es Musik nur um der Musik willen geben kann. Die Kunst wurde erst später frei und konnte sich an Italien orientieren, als sich die Grenzen langsam geöffnet haben. Die Konzerte, die wir spielen, sind genau an dem Punkt entstanden, in diesem Prozess, wo französische Musiker angefangen haben nach italienischer Manier zu komponieren. 

 

Du lebst in Paris. Das waren damals harte Zeiten für einen Geiger. 

In Frankreich gab es deshalb auch keine wirklich guten Geiger. Da reichte das Können nur für Tanzmusik. Die Geige galt nicht als seriöses Instrument. Die Stars unter den Instrumenten waren andere: Laute, Cembalo, Gambe. Wenn wir jetzt dieser Zeit nachspüren, dann finde ich viele Aspekte daran interessant. Etwa, dass der Solist im Orchester herausbricht und mit der Gesellschaft kommuniziert. Musik ist für mich nicht politisch, aber doch oft ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung. Damals fing das Individuum an, wichtiger zu werden, eben auch in der Musik. 

Du hast gerade mit dem Ensemble Diderot die elfte Aufnahme im Kulturzentrum Gustav Mahler in Toblach gemacht. 

Es ist die Akustik, die uns immer wieder nach Toblach führt. Und dann diese Ruhe, es ist unglaublich still. Wenn wir in Paris Aufnahmen machen, dann fährt unten die Metro durch und von oben hört man Flugzeuge. Man hört auf einer Aufnahme jede kleinste Vibration. Außerdem hat der Gustav-Mahler-Saal für unsere Art von Musik die ideale Größe. 

 

Du bist Artist in Residence des Kulturzentrums und somit eine Art Botschafter dieser kleinen Hochburg der Musik. 

So wie ich kommen viele Musiker nach Toblach, machen ihre Arbeit und sind wieder weg. Ich denke, dass viele Südtiroler nicht wissen, dass große Labels wie Deutsche Grammophon, Sony und Warner zahlreiche Aufnahmen in Toblach machen. Ich selbst habe während der ersten zwei Jahre unserer Residenz Stars wie die Sopranistin Adriana González oder Reinhard Goebel nach Toblach gebracht. Und deshalb ist das Ziel einer solchen Residency auch, dem, was hier entsteht, einen Namen zu geben und davon zu erzählen. 

 

Viele Musikerinnen und Musiker sind aufs Publikum angewiesen, um ihren Beruf ausüben zu können. Wie empfindest du die Situation seit März 2020?

Auf der einen Seite habe ich das Glück, durch das Ensemble mit angeschlossenem eigenen Label so flexibel und klein zu sein, dass wir unsere Konzerte zum Teil abhalten konnten und eben Aufnahmen gemacht haben, anstatt Konzerte zu geben. Als Musiker in Frankreich bin ich zudem abgesichert. Das fehlt Kollegen in anderen Ländern, auch Italien, total. Die überlegen sich wirklich, etwas anderes zu machen. Eine fatale Entwicklung. Sorgen mache ich mir aber eher für die Zukunft. Die Nachwirkungen dieses schrecklichen Jahres werden noch lange andauern. Kultur wird immer Geld von außen brauchen, etwa durch Sponsoren. Wie wird es in den nächsten Jahren mit der Bereitschaft dazu aussehen? Und wie wird es mit Konzerten weitergehen? Da wird viel Kreativität vonnöten sein, um sich neuen Situationen anzupassen.

 

Wie ist die Musik zu deinem Leben geworden?

Ich komme aus einer musikalischen Familie, mein Vater ist Musiker, war Direktor der Musikschule in Sterzing. Musik zu machen, im Chor zu singen, das war immer normal für mich. Ich habe das Konservatorium besucht und die Gewerbeoberschule, weil ich mir vorstellen konnte, einen technischen Beruf hinter der Bühne zu ergreifen. Bühnentechnik hat mich immer fasziniert. Aber dann wurde die Geige mein Hauptinstrument am Konservatorium und gefiel mir immer besser. Auf einer Klassenreise ging es dann nach London. Ich war dermaßen fasziniert von dieser Stadt, dass ich unbedingt da leben wollte. Einzige Möglichkeit dazu war die Musik. Und deshalb habe ich mich nach der Matura an einer Musikhochschule beworben und die Barockmusik entdeckt. Nach einer Weile habe ich mir eine Barockgeige besorgt und verstanden, dass ich nach Frankreich gehen muss, wenn ich lernen will, in vielen verschiedenen Stilen zu Hause zu sein.

 

Von London nach Paris – das ist wie…

… von der Großstadt in ein Dorf zu ziehen. Es ist nicht so groß und menschlicher irgendwie. Jedenfalls habe ich mich dort auch gleich wohlgefühlt und bin geblieben. 

 

Als was wurde Musik in der Zeit des Barock gesehen?

Musik ist damals als Wissenschaft angesehen worden, das war ein Handwerk, der Komponist hat nicht darauf gewartet, bis ihn die Muse küsst. 

 

Was ist Musik für dich?

Etwas zwischen Handwerk, Kunst und Hochleistungssport. Ich versuche, mein musikalisches Tun immer aus Wissen zu erklären und nicht so sehr aus einer Intuition heraus. Durch das Studium von Quellen erarbeite ich mir meine Interpretationen, indem ich schaue, das Umfeld des Komponisten zu verstehen und so einen eigenen Zugang zu den Werken zu finden. 

 

Deine Geige wurde 1713 in Brescia von Pietro Giacomo Rogeri gebaut. Entwickelt man zu seinem Musikinstrument eine besondere Beziehung?

Die Musik macht immer der Kopf und nicht das Instrument. Für mich ist meine Geige mein Arbeitsgerät. Da sie jedoch ein Instrument in barocker Mensur ist, kann ich auch viel von ihr lernen. Und sie gibt mir auch Grenzen vor, deren Auslotung beim Üben eine Herausforderung ist, aber auch immens Spaß macht. Auch das Eigenleben einer Geige ist faszinierend. Holz lebt ja. In Toblach zum Beispiel ist die Luft sehr trocken, besonders im Winter und dementsprechend verhält sich das Instrument. Dann klingt meine Geige zwei Tage ganz anders, aber das ist Physik und nicht ihre Persönlichkeit. Dann muss ich dann eben mit anderer Bogengeschwindigkeit spielen oder mit anderem Druck. 

 

Verstehen Menschen klassische Musik?

Man muss bestimmte Sachen wissen, um sie besser zu verstehen. Das ist ja mit allem so, wo sich Menschen Gedanken gemacht haben. Wein schmeckt auch besser, wenn ihn dir jemand erklärt. Dann wird etwas plötzlich sehr faszinierend. Das ist bei Musik auch so. Bei manchen Konzerten sage ich was zu den Stücken. Da höre ich dann oft: Das war jetzt besonders schön. Mein Ansatz ist immer, dass die Leute ein bisschen schlauer aus dem Konzert rausgehen, als sie reingegangen sind. 

 

Welchen Satz kannst du als Musiker nicht mehr hören?

Wenn jemand sagt, er höre klassische Musik, um zu relaxen. Also ich kann das bei der Musik nicht.

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