Doktor DJ

Dienstag, 06.04.2021
Medizin und Musik: Das sind zwei wichtige Bestandteile im Leben von Bernd Andergassen. Im Moment verbringt der Anästhesist und Intensivmediziner mehr Zeit in Südtirol als in München, wo er mit seiner Familie lebt. Der Südstern hilft auf der Covid-Intensivstation am Landeskrankenhaus Bozen aus. Im Interview erzählt er, warum Intensivmediziner Extremsportlern ähneln und sich jeder einzelne die Frage stellen sollte, wie er einmal sterben will.

 

Bernd, viele Südtirolerinnen und Südtiroler kennen dich aus einem Wellenbrecher-Video des Filmemachers Andrea Pizzini, das in der Intensivstation Bozen gedreht wurde. Was bedeutet dir das Projekt?

Da wird nichts inszeniert. Ich bin ein großer Fan von Andrea. Er versucht, seine Arbeit auch wissenschaftlich zu untermauern. Trotzdem schafft er es, mit viel Feingefühl die Emotionen mitzunehmen, ohne sich dabei selbst zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Und, noch viel wichtiger: Alle, die auf der Intensivstation arbeiten oder dort behandelt und dann von ihm interviewt wurden, sagen: Er stellt die Situation dar, wie sie ist. 

 

Manch einer hat deine direkte Wortwahl im Video kritisiert. Eckst du gerne an?

Eigentlich bin ich ein diplomatischer Typ. Ich ecke an, weil ich allerdings ehrlich, direkt und gerne über das rede, was ich mache und im Rahmen meiner Arbeit gelernt habe. Aber ich kann andere sehr gut verstehen und vieles nachvollziehen. Und ich kann Kritik aushalten. 

 

Du lebst seit 20 Jahren in München, hast bis vor Kurzem am Klinikum Schwabing als Anästhesist und Intensivmediziner gearbeitet. Wie kommt es, dass du in der Covid-Intensivstation in Bozen eingesprungen bist?

Kommilitonen, darunter der Leiter der Covid-Task-Force Marc Kaufmann, haben mich angesprochen, ob ich aushelfen könnte. Ein Problem in der Sanität in Südtirol ist ja die Sprache. Es braucht dort Pfleger und Ärzte, die Deutsch und Italienisch können und im besten Fall auch noch Dialekt verstehen. Gerade auf der Covid-Intensivstation kommen akute Fälle herein, wo Entscheidungen schnell getroffen werden müssen. Wenn da noch ein Kommunikationsproblem dazukommt, geht viel Energie flöten, und es kann viel schiefgehen. Es gibt überall in Europa einen Mangel an Ärzten und Pflegern und gerade in Südtirol ist es aufgrund der verschiedenen Sprachen nicht einfach, die Stellen auf die Schnelle zu besetzen. 

 

Hat sich nach einem Jahr Pandemie in der Behandlung von schweren Covid-19-Fällen eine gewisse Routine eingestellt?

Die Erfahrung ist größer geworden, alle gehen routinierter damit um. Die Patienten kommen auch früher, wenn sie gewisse Beschwerden haben. Von der Ersten Hilfe geht es in die Infektiologie, dann zur Hochflusstherapie mit Sauerstoff. Wenn das nicht reicht, folgt die Maskentherapie, wo der Patient als Vorstufe zur Beatmung mit Druck unterstützt wird. Wenn das auch nicht reicht, bleibt nur noch die Intensivstation mit künstlicher Beatmung in Narkose. Im Gegensatz zur ersten Welle können wir durch diesen Stufenplan, den wir wie einen Algorithmus abarbeiten, ganz viele Patienten vorher abfangen und gut versorgen. Deshalb ist es im Moment auch möglich, höhere Inzidenzen zuzulassen als noch im Frühjahr. 

 

Es heißt ja immer, die Patienten kommen erst mit einiger Verzögerung auf die Intensivstation. Sind sie dann überhaupt noch ansteckend?

Ich kenne viele Kollegen, die sich auf der Intensivstation angesteckt haben. Es gibt fulminante Verläufe, wo die Patienten hochansteckend zu uns kommen. Gerade bei jungen Patienten entwickelt sich das oft innerhalb von zwei, drei Tagen. Wenn die ältere Bevölkerung mehr und mehr geimpft ist, werden sich mehr junge Leute anstecken. Ein gewisser Prozentsatz von ihnen wird schwer erkranken, intensivpflichtig werden und auch daran versterben. Das wird die Dynamik in der Zukunft sein, denn der Druck, die Gesellschaft wieder hochzufahren, steigt natürlich ständig und wenn die Impfungen viele Tote unter den Älteren verhindern, können oder müssen wir uns wohl mehr infizierte Jüngere leisten. Für uns Mediziner keine wirklich entspannten Aussichten. 

Intensivmediziner standen noch nie so im Fokus der Wahrnehmung. Wie würdest du den Typus Intensivmediziner beschreiben?

Wir sind die Extremsportler unter den Ärzten. Wir müssen große Verantwortung übernehmen, bereit sein, immer dazuzulernen und Einsatz mitbringen. Wir müssen auch in Grenzsituationen des Lebens aushalten können, Fehler zu machen und mit einer Einschätzung nicht immer richtig zu liegen. Für mich ist die Arbeit auf der Intensivstation neben der Tätigkeit als Anästhesist mein Steckenpferd. Ich liebe die Herausforderung, die sie mit sich bringt und erlebe auch viele Glücksmomente, wenn wir Menschen helfen können. Wir Intensivmediziner haben schon vor Corona immer das Gleiche gemacht: Entscheidungen treffen im Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Aber über den Tod reden die Leute nicht gerne. Und deshalb lag der Fokus der Öffentlichkeit auch noch nicht oft auf der Intensivmedizin.  

 

Blendet unsere Gesellschaft das Ende aus?

In der Begleitung sterbender Menschen inspiriert mich der Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button”. Darin entwickelt sich ein Mann vom Greis zum Baby. Wir kennen nur den umgekehrten Weg. Aber am Ende geht es um das Gleiche: Babys können vieles nicht und müssen es erst lernen. Ältere Menschen verlieren irgendwann viele ihrer Fähigkeiten. Aber genau das wollen viele in unserer Gesellschaft nicht annehmen. Der Schluss wird ignoriert. 

 

Ist das überall so?

In Deutschland erlebe ich, wie viel weiter man in den vergangenen Jahrzehnten in der Diskussion um ein selbstbestimmtes Sterben und die Patientenverfügung gekommen ist. Da setzen sich viele Menschen mit Fragen auseinander, wie sie sterben möchten oder wie weit ein Intensivmediziner gehen sollte. Oft drückt uns ein Angehöriger die Patientenverfügung in die Hand und sagt: Mein Vater will nicht künstlich beatmet oder über einen gewissen Punkt hinaus behandelt werden. 

 

Und in Südtirol?

Es passiert immer wieder, dass Angehörige versuchen, jede erdenkliche Therapie herauszuhandeln und mit teilweise allen Mitteln Druck zu machen, und das, obwohl Ärzte oftmals wissen, dass sie das Sterben und damit vor allem das Leiden des Patienten nur hinauszögern. Der liebe Gott wird schon schauen, das ist so ein Satz, der oft fällt. Das stimmt mich mitten in einer Pandemie nachdenklich, wenn mit Ressourcen so umgegangen wird und wir als Ärzte nicht einmal wissen, wie der Patient Lebensqualität für sich definiert. Empfindet er ein Leben mit möglichen bleibenden Gedächtnisbeeinträchtigungen, gelähmt, an der Dialyse oder mit irreversiblen Lungenschäden und dauerhaft beatmet noch als lebenswert? Einige tun es, einige nicht. Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen kann man nicht in dem Moment auf den Tisch legen, wenn der Patient akut in die Intensivstation verlegt wird. Die Gedanken muss man sich vorher machen. Und das muss in Südtirol und ganz Italien noch mehr angestoßen werden. 

 

Kann die Südtiroler Medizin mit der in Deutschland mithalten? Oder ist das ein übertriebener Anspruch für so ein kleines Land?

Die Gehälter sind nicht so unterschiedlich zwischen den Ländern. Ärzte und Pfleger verdienen in Südtirol sogar mehr. Trotzdem muss man klar sagen: Es ist nicht genug. In Südtirol ist das strukturelle Problem größer. Es wurde mehr gespart. Das tötet die Motivation der Mitarbeiter, weil sie Patienten bei dünner Personaldecke nicht optimal versorgen können ohne sich auf Dauer zu verausgaben. 

 

Du hast mit elf Jahren angefangen Schlagzeug zu spielen, bist mit 13 Jahren zum ersten Mal auf der Bühne gestanden und legst seit 29 Jahren auf. Drummer, DJ und Doc - deine drei Elemente zum Erfolg?

Die Musik war immer schon eine große Liebe von mir. Eine Zeitlang stand die Frage im Raum, nur Musik zu machen. Aber dann entschied ich, dass die Musik kommerziell nicht zum Zwang für mich werden sollte. Deshalb habe ich mir lange den Freiraum genommen, Medizin und Musik zu verbinden und Zeiten gehabt, wo ich fast nur studiert habe und andere, wo ich mehr hinter den Turntables stand. Entsprechend länger habe ich eben für das Studium gebraucht, das ich mir durch die Musik selbst finanzieren konnte. Als ich 2010 mein Studium abschloss, hatte ich ein professionelles Management und zwei bis drei Auftritte pro Woche. Heute sind es vielleicht noch drei pro Monat. In normalen Zeiten, versteht sich.  Die drei Elemente sind also: Leidenschaft, Zielstrebigkeit… und ein bisschen Talent schadet vielleicht auch nicht.

 

Siehst du ein Licht am Ende des Corona-Tunnels?

Wir erleben gerade, wie volatil alles ist. Vorzeichen sind schwierig zu deuten. Jeder mischt sich ein, es gibt viel Panik und Hysterie. Es ist richtig, kritisch zu sein, aber wir müssen die Politiker auch arbeiten lassen. Ich hoffe stark, dass wir bis Ende Sommer einen relevanten Teil der Bevölkerung geimpft haben. Die britische Variante wird weiter vorherrschen. Das heißt, dass wir zwischen 80 und 85 Prozent der Bevölkerung impfen lassen müssen, um da hinterherzukommen. Und wir werden dranbleiben und Impfungen anpassen müssen. Ende Sommer könnte es mit den Lockdowns vorbei sein. Ein Moment der Unruhe wird der Herbst sein. Bis Ende November muss Vorsicht gelten. Und wenn die Welle dann nicht kommt, können wir uns entspannen. 

 

Du gehörst zu den Südsternen der ersten Stunde. Was schätzt du an dem Netzwerk?

Uns Südtiroler eint die Herkunft, die eigenständige Geschichte und Kultur. Den Austausch zwischen Südtirolern in der ganzen Welt finde ich grandios. Ich hoffe allerdings, dass die Südtiroler mehr schätzen lernen, welche kulturellen Vorteile sie haben. Das ist oft noch nicht der Fall. 

 

Wie lange bleibst du den Kollegen in Bozen erhalten?

Im Mai bin ich wieder weg. Ich lebe mit meiner Frau und den beiden Kindern in München und bin durch und durch Stadtmensch. Auch wenn ich sehr an Südtirol hänge und meine Wurzeln dort habe, brauche ich die Offenheit, die mir München bieten kann: die kulturelle Vielfalt der Club- und Konzertszene, die Möglichkeit, Kongresse zu besuchen und sofort überallhin unterwegs sein zu können, eben das Gefühl der Internationalität. 

Copyright Andrea Pizzini

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