Der mit dem besonderen Sound

Freitag, 18.02.2022
Er ist Klangdesigner und Composer, liebt grafische Gestaltung und seine Auftritte mit dem Vegetable Orchestra: Südstern Ulrich Troyer wuchs in Österreich und Südtirol auf und lebt heute in Wien. 2018 gewann er zusammen mit Lucas Zanotto den Apple Design Award für eine Kinder-App. Im Interview erzählt er, wie ihn die Südtiroler Berge musikalisch inspirieren, auf welchem Gemüse er am liebsten Musik macht und warum er so gerne Graphic Novels liest.

 

Ulrich, du kennst Südtirol geografisch aus unterschiedlichen Blickwinkeln. 

Die ersten Jahre verbrachten wir mit unseren Eltern in Innsbruck, wo mein Vater arbeitete. Dann ging es nach Bregenz und von dort nach Vetzan in der Nähe von Schlanders. Schließlich zogen wir nach Brixen, wo ich die Oberschule besuchte. Ich lebe mittlerweile seit 1992 in Wien. Wenn ich meine Eltern besuche, dann fahre ich auf den Ritten, denn sie leben mittlerweile in Klobenstein. Das Schöne am Ritten ist, dass man die Dolomiten als Panorama sichtbar vor Augen hat. Der Weg von Klobenstein aufs Rittner Horn bzw. zur Feltuner Hütte ist für mich immer sehr entspannend. Der Blick dort, die Bergsilhouetten in den verschiedenen Lichtstimmungen, haben mich zur Komposition DOLOMITE DUB inspiriert. 

 

Mit der über 40 Minuten langen Komposition hast du deine Wahrnehmungen auf einer mehrtägigen Wanderung durch die Dolomiten in eine Klanglandschaft transformiert. Worum genau ging es dir?

Die Bergsilhouetten habe ich wie akustische und musikalische Frequenzbänder gesehen. Die Erinnerung an die ein paar Jahre zurückliegende Wanderung, die am Schlern gestartet ist, hat mir so viel Kraft gegeben, dass ich das festhalten wollte. Wie eine mehrtägige Wanderung besteht DOLOMITE DUB aus mehreren Etappen. Anfänglich erscheint alles monoton, doch bald entsteht ein musikalischer Fluss, ähnlich den Wahrnehmungen einer Wanderung auf 2500 Metern. Die künstlerische Herausforderung lag darin, ein Stück zu komponieren, das oberflächlich betrachtet gleichförmig ist, und dennoch nicht langweilig wird, sondern vielmehr in seiner Bewegung und nach jeder Etappe neue Perspektiven eröffnet.

 

Warum läuft das Stück mit einer Geschwindigkeit von 133 ⅓ BPM?

Schallplatten faszinieren mich seit meiner Kindheit. Die Geschwindigkeit von DOLOMITE DUB ist genau jene, die eine Schallplatte hat, wenn sie auf 33 RPM abgespielt wird. Das Knacksen am Ende der Schallplatte ergibt dann eine Geschwindigkeit von 133 ⅓ BPM. Das schien mir eine passende und angenehme Wandergeschwindigkeit.

 

Wer ist William?

Das ist ein anderes Projekt von mir, die Dub-Trilogie SONGS FOR WILLIAM. Da habe ich die Musik gemacht und dazu eine Graphic Novel gezeichnet und auch das Cover gestaltet. Die Hauptfigur ist ein Gitarreneffektgerät, also ein Verzerrer, wie man es als Gitarrist kennt. Weitere Figuren im Comic sind verschiedene Studioeffektgeräte wie z.B. Filter, Hallgeräte und Delays. Musikalisch handelt es sich um eine experimentelle Form von elektronischem Dub-Reggae mit Analogsynthesizern und ist 2011 auf Deep Medi Musik erschienen. Den zweiten und dritten Teil habe ich auf meinem Label 4Bit Productions veröffentlicht. Zum 10-jährigen Jubiläum ist letztes Jahr ein Mixtape (MIXTAPE FOR L) auf dem  Kassettenlabel LIMBOTAPES aus Bristol (UK) erschienen.

 

Photo: 2013, Eva Kelety, www.kelety.at

 

Du hast dein eigenes Label für freie musikalische Projekte. 

Bei 4Bit Productions muss ich keine kommerziellen Kompromisse eingehen und kann genau das machen, was ich will. Zudem habe ich alles, von der Musik bis hin zur Qualität der Schallplattenpressung und den Drucksorten, unter Kontrolle. Auf der anderen Seite betreibe ich ein Studio für Sounddesign und Komposition, wo ich an verschiedensten Projekten beteiligt bin und für Auftragsarbeiten zur Verfügung stehe. Aktuell arbeite ich gerade an Sounddesign und Musik für Nicolas Mahler. Der Wiener Comiczeichner arbeitet zusammen mit dem Schweizer Animationsdesigner Stefan Holaus an einer Kurzfilm-Serie und ich mache das Sounddesign und die Musik dazu. 

 

Wie vielseitig Musik sein kann, zeigst du auch als Mitglied des Wiener Gemüseorchesters. Welches Gemüse hat dich in seinem Klang überrascht?

Befreundete Künster*innen haben das Orchester 1998 gegründet, ich bin seit 2005 dabei. Die Idee lebt also schon seit bald 25 Jahren und ist für uns immer noch spannend und interessant. Ich spiele gerne perkussive Sounds, deshalb bin ich ein Fan vom Kürbis, aber auch von der Melanzana, die so einen weichen Klang hat. Wir sind acht bis zehn Musiker*innen und spielen hauptsächlich außerhalb von Österreich. Italien, Frankreich, Russland, Amerika, China, Singapur. Heuer steht Senegal an, wenn es die aktuelle Situation erlaubt. Durch die Pandemie ist natürlich alles unsicher und runtergefahren. Wir hatten kaum Auftritte. 

 

Isst du Gemüse heute mit anderen Augen? 

Grundsätzlich ist das gemeinsame Essen und Kochen ein Thema, das in unserem Orchester alle interessiert. Wir geben uns auch Rezepte weiter, was wir aus dem in der Probe verwendeten und übrig gebliebenen Gemüse kochen können. 

 

Klingt Biogemüse besser?

Fürs Orchester verwenden wir hauptsächlich Gemüse aus dem Supermarkt. Es ist ja gewissermaßen normiert und damit ist es, was den Klang und den Instrumentenbau betrifft, für uns geeigneter. Privat aber esse ich lieber bio. 

Photo: DJ-Set @ MQ, Vienna in May 2016, Stefan Fürtbauer, www.stefanfuertbauer.com

 

Du hast Architektur studiert. Hat Musik dich schon immer begleitet?

Ich habe klassisch an der Musikschule angefangen, mit Blockflöte und Gitarre und in mehreren Bands gespielt. Grundsätzlich wollte ich immer Musiker oder Komponist werden, aber ich hätte mich nie getraut, eine Aufnahmeprüfung in der Richtung zu machen. Architektur hat mich interessiert, das Studium war eine pragmatische Entscheidung. Weil es eben ein Beruf ist, von dem man leben kann. Das Studium habe ich auch abgeschlossen und konnte viel für mich mitnehmen. Das Zusammenspiel zwischen Raum und Klang zum Beispiel. Für meine Diplomarbeit habe ich blinde Menschen als Experten in Sachen Raum- und Architekturwahrnehmung interviewt. Daraus habe ich später eine Klanginstallation und CD (SEHEN MIT OHREN) gemacht. Aber die Musik hat mich nicht losgelassen, und ich hab schon während des Studiums meine erste Platte veröffentlicht. Vielleicht macht am Ende eine nicht geradlinige Biografie einen Künstler und Musiker auch aus. Und heute baue ich eben wie ein Architekt akustische Gebäude. 

 

Was inspiriert dich sonst?

Ich liebe das Genre Graphic Novel, diese Form der häufig autobiografischen gezeichneten Literatur fasziniert mich. Wenn es gut gemacht ist, berührt es mich sehr. Meine liebste Graphic Novel ist Persepolis von Marjane Satrapi. Überhaupt finde ich den Nahen Osten spannend. Ich sammle Platten aus diesen Ländern und lege das auch als DJ auf. Gerade arbeite ich übers Internet mit Osman Murat Ertel von der türkischen Band BABA ZULA zusammen. Er spielt Electro-Saz, eine elektrische Version der orientalischen Langhals-Laute.

 

Mit YATATOY verbindest du grafische Welt und Sound. Ein Projekt wie für Ulrich Troyer gemacht?

Absolut. Es macht mir grossen Spaß die animierten Tiere durch Klang zum Leben zu erwecken und ihnen einen eigenen Charakter zu geben. Zusammen mit Lucas Zanotto, einem Schulfreund meines Bruders, und zwei Programmierern haben wir diese schönen Apps für Kinder entwickelt. Die App „Bandimal”, mit der Kinder erste Schritte beim Komponieren machen können, hat 2018 den Apple Design Award gewonnen. 

 

Muss man Sound für Kinder anders denken?

Nein. Es ist vielmehr wichtig, es mit Liebe zu machen. Und das ist glaube ich bei allem so. 

 

Neugierig? Musik von Ulrich Troyer ist auf allen gängigen Plattformen zu finden, zum Beispiel Apple Music oder Spotify.

http://www.ulrichtroyer.com

http://www.4bitproductions.com/

http://www.4bitstudio.com/

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