Immer auf der Suche

Freitag, 15.07.2022
Die Liebe zur Archäologie steckt bei Christoph Baur in der DNA. In der Volksschule las er Bücher über Mammuts und Urmenschen, in der Mittelschule war das Berufsziel klar und von da an, gab es nur eine Richtung: Sie führte ihn zehn Meter unter die Erde von Karthago, zu Ötzi und kostbaren Behältern. Im Gespräch erzählt der Südstern und Ausgrabungsleiter des Archäologischen Diensts Graubünden, warum Schätze nicht immer aus Gold sein müssen, was die Aufgabe der Archäologie ist und warum sie in Zukunft noch digitaler wird

 

 

Christoph, wie oft wirst du als Schatzsucher bezeichnet?

Das kommt ständig vor. Wenn wir auf einer Grabung sind, dann kommt sicher zehnmal jemand vorbei, der fragt, ob wir schon Schätze oder Gold gefunden haben. In gewisser Weise sind unsere Funde ja Schätze, aber nicht in dem Sinn, wie man sich das landläufig vorstellt. Gold bei einer Ausgrabung zu finden, passiert sehr selten. Wenn Archäologen nach dem wichtigsten Fund gefragt werden, dann antworten sie oft mit eher banalen Dingen, die aber einen großen wissenschaftlichen, kulturellen Wert haben. Der Kontext, in dem wir etwas finden, hilft uns, Geschichte besser erklären zu können oder einen anderen Blickwinkel darauf zu bekommen. Ist etwas in einer Grube gefunden worden, in einem Grab oder in einem Haus? Und das ist der eigentliche Schatz, die schönste Goldmünze zählt nicht, wenn wir nicht wissen, woher sie stammt. Ein klassisches Beispiel für die Bedeutung des Kontexts in der Archäologie ist der Ötzi. 

 

Er wurde 1991 gefunden und hat viele alte Meinungen auf den Kopf gestellt. 

Als ich mit dem Studium begonnen habe, hat gerade der wissenschaftliche Prozess rund um Ötzi begonnen. Mein erster Professor, Konrad Spindler war es, der seine Wichtigkeit erkannt hat. Ich erinnere mich, wie er einmal erzählte, dass zu Beginn seines Studiums die Bronzezeit um 1.800 v.Chr. Angefangen habe. Und durch Ötzi weiß man heute, dass sie um 2.200 v.Chr. hat begonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man keine Ahnung, dass die Leute zu der Zeit in dieser Höhe hinaufgegangen sind, wie ihre Ausrüstung ausgeschaut hat. Ötzi, der um 3.300 v.Chr. gestorben ist, hatte gescheiterte Schuhe zum Beispiel. Das alles hat den Blick auf die Menschheitsgeschichte in Mitteleuropa geschärft. Genau darum geht es in unserem Fach. Wir sind eine historische Wissenschaft und können in vielen Bereichen nicht auf Schriftquellen zurückgreifen. 

 

Habt ihr die Fundstelle besichtigt?

Ja, im Hochsommer waren wir einmal dort. Da war es noch recht angenehm. Ötzi war im Frühsommer oben am Berg unterwegs. Auch das hat in diesem Zusammenhang noch einmal mehr über ihn erzählt. 

 

Foto: Mayk Wendt

 

Gab es einen Schlüsselmoment, der dich zur Archäologie gebracht hat?

Das ist bei mir genetisch bedingt. Ein Onkel von mir ist Archäologe, er hat mich vergiftet, mir Kinderbücher über Mammuts und Urmenschen gebracht. Meine Mama kommt aus der Nähe von Augsburg, wo es viele Ausgrabungsstätten gibt. Es haben am Ende Faktoren mehrere dazu geführt. In der Mittelschule jedenfalls wusste ich schon, dass ich das später einmal machen will. Ich habe dann das Sprachengymnasium besucht, weil mein Onkel mir klarmachte, dass Sprachen sehr wichtig sind. Davon lebe ich heute noch. Ich beschäftige mich ja vor allem mit Urgeschichte, der Eisen- und Bronzezeit. Die Alpen waren zwar da, aber nicht wirklich ein Hindernis für die Menschen. Die Kulturen tauschten sich über die Berge hinweg aus. Das passiert heute auch in der Archäologie und mein Vorteil war immer, dass ich mit Italienern, 

 

Du bist Ausgrabungsleiter beim Archäologischen Dienst Graubünden in Chur. Warum wählst du nach Jahren in Italien, Deutschland und Österreich auf die Schweiz? 

Die Antwort ist zunächst banal: Hier gibt es Arbeit. Auf einem festen Posten zu landen, ist in unserem Fach leider nicht die Regel. In Deutschland und Österreich haben sich die Denkmalämter zusehends aus dem Grabungsgeschäft zurückgezogen und dieses an Privatfirmen übertragen. Diese schießen nun wie Pilze aus dem Boden. In der Folge gibt es Lohndumping. Da bist du mit deinem Studium fertig, arbeitest Vollzeit und gehst vielleicht mit 1.300 Euro nach Hause und weißt nicht mal, ob es nach der Befristung noch weitergeht. Auf der Uni ist es auch nicht leichter. Nach der Dissertation geht es nur über Projekte, die du aufreißt. Dadurch bist du ständig gezwungen, mobil zu sein. Mit Familie wird das hart, alle vier Jahre zu wechseln. 

 

Was ist in Chur anders?

In Graubünden ist das Denkmalamt beim Kanton selbst angesiedelt. Wir sind vier bis fünf Grabungsleiter und insgesamt 25 Leute. Der Kanton ist riesig, es gibt viel zu tun und die Arbeit ist zunehmend technischer geworden, was mir Spaß macht.

 

Foto: ADG

 

Der Trend in der Archäologie geht zum sogenannten LIDAR-Verfahren, das sind Luftscans, mit denen digitale Geländemodelle erstellt werden können. 

Das Problem in der Archäologie besteht ja darin, dass es schwierig, zeitintensiv und mit großen Kosten verbunden ist, große Flächen zu untersuchen. LIDAR hingegen ermöglicht, mit Lasererfassung weitflächige Strukturen aufzudecken. Etwa beim Stonehenge-Projekt in England. Damit sind Oberflächenuntersuchungen möglich. In Kombination mit Georadarmessungen können zusätzlich noch Strukturen unter der Erde erfasst werden, ohne etwas ausgraben zu müssen. Wenn wir ausgraben, zerstören wir ja auch, denn danach ist alles kaputt. Das verstehen nicht alle.

 

Gibt es einen Fund, der besonders wertvoll für dich ist?

Da gefallen mir spontan zwei Dinge ein. Einmal Strukturen, die wir aufgedeckt haben. Fürs Deutsche Archäologische Institut war ich an Ausgrabungen in Tunesien beteiligt, wo wir die Einsatzschichten in Karthago ausgegraben haben. Teilweise berücksichtigten wir uns zehn Meter unter dem heutigen Niveau. Da haben wir Lehmziegelhäuser aus der Zeit um 750 v.Chr. ausgegraben. Du stehst dann in 2,5 Meter hohen erhaltenen Räumen, die knapp 2.800 Jahre alt sind. Das ist beeindruckend. Und wenn es um einen besonderen Fund geht, dann prägt mich einer, den ich gar nicht selbst gemacht habe. Wir haben letztes Jahr an der Grenze zum Tessin einen Bronzekessel gefunden. Er hat etwas 30 Zentimeter Durchmesser und wurde für Getränke verwendet. Man kennt diese Kessel vor allem aus Italien und Slowenien, dieser aber ist der erste, der in den Westalpen gefunden wurde. Das wirft nun ganz neue Fragen auf, weil wir solche Kessel normalerweise in eisenzeitlichen Königs- und Fürstengräbern finden. Als Archäologe bearbeitest du sowas vielleicht einmal im Leben. Du kannst das angreifen, damit arbeiten, Stunden damit verbringen, ehe es ins Museum geht. 

 

Früher ging es in der Archäologie ja hauptsächlich darum, Museen zu füllen. Und heute?

Die Aufgabe der Archäologie ist heute vor allem Kulturschutz, also Denkmalschutz. Es geht darum zu schauen, wie wir die Relikte und Denkmale der Vergangenheit bewahren können, ohne den wirtschaftlichen Fortschritt aufzuhalten. Archäologie lebt hauptsächlich von öffentlichen Geldern. Es ist deshalb auch der Druck da, etwas zu präsentieren. Heute ist der Fundus sehr groß. Wir können den Menschen Infos über Baukultur geben, wie Materialien verwendet wurden oder Handelsbeziehungen aussahen und das durch ganz viele Epochen hindurch. 

 

 

Foto: ADG

 

In der Ukraine gibt es viele Kulturgüter von großer Bedeutung, vor 20 Jahren sind wichtige Funde gemacht worden. Ist der Krieg – auch aus archäologischer Sicht eine Katastrophe?

Es ist schlimm, was dort passiert. In der Ukraine gibt es Großgrabhügel, Kurgane genannt, in denen Steppennomaden seit der Bronzezeit ihre Toten bestattet haben. Diese Kulturen der Reiternomaden hatten seit der Bronzezeit immer wieder auch erheblichen Einfluss auf die Kulturen Mitteleuropas, am bekanntesten sind wahrscheinlich die Hunnen und Mongolen. Im Flachland der Ukraine sind solche Hügel im Krieg natürlich bevorzugte Militärstellungen und werden dadurch potenziell zerstört. Man hat es ja in anderen Regionen gesehen. Irak, Syrien – ganz krasse Beispiele, weil Menschheitsgeschichte zerstört wurde. Von dort kommt alles, was wir als westliche Zivilisation sehen: Schrift, Maßeinheiten, Astronomie, Sprachen. 

 

Was ist in der Forschung in den nächsten Jahren zu erwarten und in welchen Ländern gibt es noch viel zu entdecken?

Eine Prognose ist schwierig. Denn finden kann man überall was. Wir in Graubünden jedenfalls haben zu tun ohne Ende. Es wird weiter ins Digitale gehen, Grabungen werden komplett als 3D-Modelle dokumentiert werden. Das können wir dann im Büro auswerten und die Baustelle schneller freigeben. Die Zukunft der Archäologie wird in erster Linie technischer Werden. Es werden auch neue, jüngere Forschungsbereiche erschlossen, die zunehmend etwa den historischen Kontext von Konzentrationslagern und den Bereich drumherum erforschen. 

In Graubünden haben wir z.B. 2016 den Friedhof einer sogenannten Korrektionsanstalt ausgegraben und 2019 die Auswertung veröffentlicht. Das Ziel: Die Menschen, die dort begraben sind, sollen wieder mit ihren Biographien in Einklang gebracht werden. Damit wurden durch die Archäologie neue Aspekte der Zwangsfürsorge beleuchtet, die aufgrund der historischen Überlieferung bisher kaum berücksichtigt wurden. Und gerade mit dem Blick auf die Ukraine wird auch die forensische Seite der Archäologie mehr zum Tragen kommen. Leider – wir hätten uns nach Jugoslawien nicht erwartet, dass es noch einmal so weit kommt. 

 

Du bist jetzt seit 2001 von Südtirol weg. Was ist typisch Südtirolerisch an dir geblieben?

Ich spiele mit meiner Tochter Mau-Mau. Was jetzt in der Schweiz nach Jahren in Kärnten, wo meine Frau und die Kinder leben, zurückkommt, ist der Dialekt. Und bei Knödeln mache ich keine Kompromisse. Mit einer Nordtiroler Kollegin, die ebenfalls in Chur lebt, versuche ich, eine anständige Knödelkultur zu importieren. 

Foto: ADG

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