„In Amerika habe ich kritisches Denken gelernt”

Montag, 17.10.2022
550 Mitarbeiter*innen aus der ganzen Welt arbeiten an der Eurac – auch der mit dem Forschungspreis des Landes Südtirol ausgezeichnete Südstern Christian Fuchsberger. Er sucht nach Genen, die Volkskrankheiten wie Diabetes und Herzinfarkt verursachen, um Behandlung und Prävention zu verbessern.

 


Christian Fuchsberger, Jahrgang 1978, ist der Mann für Bioinformatik an der Eurac. Der gebürtige Rittner forscht am Institut für Biomedizin und leitet die bioinformatischen Analysen in der Vinschgauer CHRIS-Studie. Für die Entwicklung statistischer Modelle, um medizinische und genetische Daten auszuwerten, wurde er 2017 mit dem Forschungspreis des Landes Südtirol ausgezeichnet. Erst vor einigen Wochen hat er zudem das Südstern Stipendium für das MBA Studium am MCI gewonnen.

„Mein ursprünglicher Plan war: Koch werden. Ich bin auf 2000 Metern aufgewachsen, meine Eltern führen auf dem Rittner Horn ein Gasthaus. Also habe ich die Handelsschule besucht mit dem Ziel, dann auf die Hotelfachschule zu wechseln. Dass ich schlussendlich an die Gewerbeoberschule gewechselt bin, lag an meinen Lehrern. Sie legten mir ans Herz, etwas mit Mathematik zu machen. Seither lassen mich Zahlen nicht los. 

Nach der Matura studierte ich Informatik an der TU Wien. Meine Diplomarbeit habe ich über die künstliche Beatmung von Frühchen geschrieben und mich dafür in den Bereich der medizinischen Informatik eingearbeitet. Weil ich verstehen wollte, wie Mediziner ticken, habe ich zwei Jahre Medizin studiert. Dieser Einblick hat mir sehr geholfen, meine Ideen umzusetzen. So kam ich zum ersten Mal mit der Wissenschaft in Kontakt und beschloss, ein Forschungsdoktorat zu machen. Medizinische Informatik interessierte mich. Dass es am Ende so schwierig ist, Ergebnisse in der Praxis umzusetzen, war allerdings ein Hemmschuh. 

Mit meinem damaligen Professor habe ich 2003 eine Konferenz auf Zypern besucht. Das Thema einer Keynote über Bioinformatik hat mich fasziniert. (Was interessant ist und was nicht, wird von Wissenschaftlern übrigens als sehr unterschiedlich wahrgenommen. Mein Professor ist während des Vortrags neben mir eingeschlafen …) Mir hat sich an diesem Tag eine neue Welt eröffnet: Ich hatte den Eindruck, mithilfe der Bioinformatik am Ende wirklich etwas bewegen zu können, und habe deshalb mein Forschungsdoktorat an der Eurac in diesem Bereich begonnen. 

Wissen zur Biologie musste ich mir erst aneignen. Zunächst habe ich mich mit Fragen beschäftigt, wie Genetik funktioniert, welche Analysentechniken gebräuchlich sind. In Südtirol zu forschen, gefiel mir – und doch wurde es mir im Land zu eng. Deshalb ging ich nach dem Forschungsdoktorat für einen Postdoc in die USA, wo ich für zwei Jahre am Zentrum für genetische Statistik der University of Michigan geforscht habe. Dort konnte ich mit jenen zusammenarbeiten, die mein Forschungsgebiet prägen. Der Zugang auf das in diesem Moment verfügbare Wissen, hat mich ungemein inspiriert. In dieser intensiven und spannenden Zeit habe ich mir viele Netzwerke aufgebaut, von denen ich bis heute profitiere. 

Als ich meinen Postdoc in der Tasche hatte, stand ich vor einer schweren Entscheidung. Amerika ist das beste Land, um Forschung zu betreiben. Das stand für mich fest. Aber dort leben? Das konnte ich mir langfristig nicht vorstellen. Als mir die Eurac ein Angebot machte, sagte ich zu. Ich war mir sicher, dass ich genug Kontakte und Expertise aufgebaut hatte, um weiterhin Topforschung in Südtirol betreiben zu können. Das war 2013. 

Photo: © Eurac Research

 

Was mache ich seither an der Eurac? Ich suche nach Genen, die Volkskrankheiten wie zum Beispiel Diabetes oder Herzinfarkt verursachen. Diese Krankheiten werden zwar auch stark vom Lebensstil und Umweltfaktoren beeinflusst, aber indem wir die verantwortlichen Gene identifizieren, können wir die Behandlung und Vorbeugung dieser Krankheiten verbessern. 

Wertvolle Daten für meine Forschung liefert die CHRIS-Studie im Vinschgau mit über 13.000 Teilnehmern. Dank der regen Beteiligung der Bevölkerung konnten wir sehr viele wichtige Daten sammeln, darunter auch die Erbinformation eines jeden einzelnen Teilnehmers. Die Erbinformation ist im Genom gespeichert und besteht aus drei Milliarden Buchstaben. Mithilfe dieser Daten können wir zum Beispiel die Erbinformation von Diabetikern mit Gesunden vergleichen, wobei unterschiedliche Buchstaben ein größeres Diabetesrisiko anzeigen können. Und, wenn alles gut läuft, eben auch entsprechende Therapien und Medikamente entwickeln. 

Informatiker werden ja oft als Nerds bezeichnet, die allein vor dem Bildschirm sitzen. Ich bin mit dem, was ich mache, mitten unter den Menschen. Gerade deshalb finde ich die Arbeit an der Eurac so spannend. Am Institut für Biomedizin arbeiten über 80 Leute mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen. Der Austausch mit meinen Kollegen hier und weltweit ist sehr bereichernd. 

Aus meiner Zeit in Amerika habe ich das kritische Nachdenken mitgenommen. Erst wenn es nicht gelang, ein Ergebnis zu widerlegen, wurde es veröffentlicht. Wenn ich heute wirklich etwas über ein Thema wissen will, schaue ich mir die wissenschaftlichen Quellen dazu an, da oftmals in den Medien die Resultate nur unzureichend oder verfälscht wiedergegeben werden. 

Im Juli 2020 haben wir unsere CHRIS-Studie erweitert und im Hinblick auf Risikofaktoren der Covid-19-Erkrankung untersucht. Das ganze ist in einem Verbund von Forschern abgelaufen, die ihrerseits Daten geliefert haben. Von Finnland bis Griechenland haben Gruppen mitgemacht. 100 gingen an den Start, am Ende konnten nur 50 die Daten liefern. Darunter auch wir, aus diesem kleinen Land Südtirol. Das sagt viel aus über die Möglichkeiten, hier Forschung zu betreiben. 

An für die Bevölkerung relevanten Themen zu forschen und Teil eines interdisziplinären Teams zu sein, fasziniert mich nach wie vor. Und kochen? Das mache ich immer noch gern. 

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