„Immuntherapeutische Ansätze in der Krebsbehandlung rücken zunehmend in den Vordergrund“

Sonntag, 28.02.2016

Andreas Seeber hat im April den Young Investigator Preis der Österreichischen Gesellschaft
für Hämatologie & Onkologie erhalten. Im Südstern Interview erläutert er sein Siegerprojekt, spricht über die Herausforderung Promotion und gibt einen aktuellen Einblick in die vielfältigen Fortschritte der Onkologie.



Welche Beweggründe haben Sie dazu veranlasst, ein PhD-Studium aufzunehmen? Wovon sollte ein junger Südtiroler Medizinstudent diese Entscheidung abhängig machen?


Wissenschaftliche Fragestellungen haben mich schon während meines Medizinstudiums interessiert. Bereits meine Diplomarbeit konnte ich damals in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlichen. Als mein Diplomvater (Prof. Dr. Gilbert Spizzo) mich dann fragte, ob ich gern ein PhD- Studium beginnen möchte, habe ich ohne zu zögern zugesagt. Anschließend habe ich für vier Jahre im Labor für Experimentelle Onkologie im Tiroler Krebsforschungsinstitut in Innsbruck über das Tumorprotein EpCAM geforscht. Nun konnte ich das Studium mit Auszeichnung abschließen.


Um ein PhD- Studium zu absolvieren, sollte man sich selbst die Frage stellen, ob das Interesse für das wissenschaftliche Arbeiten überhaupt besteht, d. h. findet man es interessant im Labor zu arbeiten, Dinge kritisch zu hinterfragen oder beispielsweise Artikel über Forschungsarbeiten zu schreiben? Außerdem sollte sich jeder Student bewusst sein, wie wichtig die Wahl des Doktorvaters ist. Denn nur ein Mentor, der interessiert an der Zusammenarbeit ist und genügend Zeit und Geduld aufbringt, hilft einem diese doch intensive Zeit erfolgreich zu beenden.



Während vermehrt Studien einen geringen Erfolg durch Chemotherapie nahelegen, schießen die Kosten für Gesundheitssysteme in diesem Bereich in die Höhe. Pharmaunternehmen rechtfertigen die hohen Preise durch die kosten- und zeitintensive Forschungsarbeit, während einige Kritiker darauf hinweisen, dass die eigentlichen Durchbrüche in der Grundlagenforschung an Universitäten erreicht wurden. Was ist Ihre persönliche Meinung zu diesem Thema?


Ich würde nicht behaupten, dass durch die Chemotherapie nur geringe Erfolge erzielt werden können. Durch adjuvante Chemotherapien kann man Heilungsraten nach kurativen Operationen, z. B. beim Brust- oder Dickdarmkrebs erhöhen, bzw. hämatologische Erkrankungen wie Lymphome gänzlich heilen. Ohne Chemotherapie würde die Mortalitätsrate von Menschen mit bösartigen Tumoren höher sein und die Gesamtüberlebenschancen für Patienten mit metastasierten Karzinomen deutlich geringer sein. Zudem wird die Lebensqualität von Tumorpatienten durch palliative Chemotherapien fühlbar gesteigert.
Dass die Kosten durch neue Therapien höher werden, liegt nicht an den konventionellen Chemotherapeutika, sondern an den „modernen“ molekular zielorientierten Tumortherapeutika, z. B. den „monoklonalen Antikörpern“ oder den „Tyrosin-Kinase-Inhibitoren“. Diese greifen ganz gezielt spezifische Signalmoleküle an, die auf der Oberfläche oder im Zellinneren von Krebs- bzw. Immunzellen zu finden sind. Die Entwicklung und Produktion dieser modernen Tumortherapeutika ist komplizierter und kostenintensiver als jener der „klassischen“ Chemotherapeutika.


Ich selbst bin der Meinung, dass nicht nur die Grundlagenforschung der Universitäten, sondern auch das Know-how der Pharmaindustrie in der Entwicklung neuer Krebsmedikamente benötigt wird, einerseits um die Biologie von Tumoren besser entschlüsseln zu können und anderseits um Wirkstoffe zu entwickeln, die Krebszellen an den molekularen Schlüsselstellen angreifen. Nur durch eine intensive Zusammenarbeit von Akademia und Industrie können neue wichtige Erkenntnisse der Grundlagenforschung zeitnahe zum Nutzen für Krebspatienten beitragen. Dies zeigt sich beispielsweise im Fall des monoklonalen Antikörpers Denosumab, welcher erfolgreich bei Knochenmetastasen eingesetzt wird, und sich gegen den RANK-Liganden, ein Protein im Knochenstoffwechsel, richtet. Das Forschungsteam von Prof. Penninger an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien entdeckte, dass der RANK-Ligand ein wichtiger Stimulator für den Knochenabbau ist. Die Produktion dieses Faktors wird bei Patienten mit Knochenmetastasen durch Krebszellen gesteigert, sodass Knochen zerstört wird. Durch die intensive Zusammenarbeit mit einem Pharmaunternehmen konnte der Antikörper Denosumab schnell entwickelt werden, der die knochenzerstörende Wirkung von RANKL hemmt. Denosumab ist nun bereits seit einigen Jahren ein Standardmedikament in der Therapie von Knochenmetastasen.



Woran liegt es, dass sich die Forschungsarbeit von Pharmakonzernen vor allem auf fortgeschrittene Tumore konzentriert?


Statistisch gesehen erkrankt eine von drei Personen in Industrieländer an Krebs. Etwa 65 % davon sind potenziell durch Operationen bzw. Strahlentherapie heilbar. Die restlichen Patienten befinden sich in einem meistens unheilbaren fortgeschrittenen Stadium, in dem das primäre Ziel in der Erhaltung der Lebensqualität und in der Verlängerung der Lebenszeit besteht. In diesem Fall werden neben und/oder anstelle der Chemotherapie zunehmend „moderne“ zielgerichtete Krebsmedikamente angewandt. Die Forschung konzentriert sich daher hauptsächlich auf Tumore in diesen fortgeschrittenen Stadien, da die betroffenen Patienten intensivere und neue Behandlungen mit solchen medikamentösen Therapien benötigen. Denn je mehr Erfolg, z. B. durch Verlängerung des Gesamtüberlebens, ein gewisses Medikament erzielt, desto rascher wird es dann schlussendlich auch in früheren Stadien von Krebserkrankungen angewandt. Hierin ist ersichtlich, wieso sich Pharmakonzerne bei der Entwicklung von neuen Krebsmedikamenten zuerst auf Tumorerkrankungen in fortgeschrittenen Stadien konzentrieren.


Welche Fortschritte werden sich Ihrer Meinung nach in den nächsten 5 Jahren abzeichnen?


In den letzten Jahren kam es zum lange erwarteten Durchbruch in der Krebsimmuntherapie durch die Entwicklung neuartiger, immunstimulierender Antikörper. Diese biologische Therapieform zielt darauf ab, das körpereigene Immunsystem gegen bösartige Tumorzellen zu aktivieren, um diese letztlich zu zerstören. Die Immuntherapie wurde zunächst zur Behandlung des Melanoms, einem bösartigen Hautkrebs, eingeführt und jetzt erst vor Kurzem auf Lungen- und Nierenkrebs ausgeweitet. In den nächsten Jahren werden diese immuntherapeutische Ansätze in der Krebsbehandlung immer stärker in den Vordergrund rücken. Der nächste Schritt wird die Zulassung der Immuntherapie für das Blasenkarzinom und Tumore im Hals-, Nasen- und Ohrenbereich sein.
Außerdem glaube ich, dass die sogenannte personalisierte Medizin mit der Entwicklung maßgeschneiderter Therapien für individuelle Krebspatienten in Zukunft eine zentrale Rolle spielen wird. Dazu wird die Art der Krebserkrankung eines Patienten bis auf die molekulare Ebene aufgeschlüsselt. Ziel ist es, molekulare Angriffspunkte in Tumoren zu finden und damit den erfolgreichen Einsatz zielorientierter Krebstherapeutika zu ermöglichen.



Sie haben im April den ÖGHO Young Investigator Award bekommen: Wofür haben Sie diesen renommierten Preis erhalten und worauf kommt es besonders in der onkologischen Forschung an?


Ich habe den ÖGHO Young Investigator Preis für das Onco-T-Profil Projekt erhalten, welches wir letztes Jahr an der Universitätsklinik für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie der Medizinischen Universität Innsbruck (Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Günther Gastl und Univ.-Prof. Dr. Heinz Zwierzina) gestartet haben und für welches ich als ich als Projektkoordinator fungiere. Im Rahmen dieses Projekts behandeln wir Patienten mit metastasierten Tumoren, die keine Standardtherapie (=Therapie, die für diese Tumorentität zugelassen ist) mehr zu Verfügung haben, mit einem personalisierten Therapieansatz. Wir untersuchen hierfür das Tumorgewebe auf sog. prädiktive, molekulare Biomarker: Im Rahmen dieser erweiterten Tumordiagnostik werden Tumorproteine und Tumorgene getestet, die im Rahmen der routinemäßigen, pathologischen Diagnostik nicht untersucht werden. Damit können im Krebsgewebe neue molekulare Angriffspunkte entdeckt und für therapeutische Zwecke genützt werden. In Südtirol konnte dadurch mehreren Krebspatienten geholfen werden. In dieses laufende klinisch-wissenschaftliche Pilotprojekt werden immer wieder auch Südtiroler Patienten aufgenommen. Grund dafür ist vor allem die enge Zusammenarbeit mit der Hämatologie/Onkologie Abteilung des Krankenhauses Meran.


… und in 20 Jahren?


Kein Fach in der Medizin befindet sich in einer so dynamischen Entwicklung wie die Onkologie. Wenn sich nicht laufend mit diesen Fortschritten auseinandersetzt, verliert sehr rasch den Anschluss und Überblick. Was können wir in 20 Jahren in der Onkologie erwarten? Wir werden die molekularen Profile aller Krebsformen kennen, im Einzelfall analysieren und für die Therapie nutzen. Die Krebstherapien werden noch wesentlich wirksamer werden und in den meisten Fällen geringe Nebenwirkungen verursachen. Damit werden auch ältere Krebspatienten mit Begleiterkrankungen erfolgreich behandelt werden können. Die Heilungsrate und Lebenserwartung wird für viele Krebsformen weiter zunehmen. Betrachtet man beispielsweise das metastasierte Dickdarmkarzinom, dann wurden in den letzten 20 Jahren wesentliche Erfolge erzielt: Die mittlere Lebenserwartung verlängerte sich in dieser Zeit von 6 auf 30 Monate und ein Teil der betroffenen Patienten kann trotz Lebermetastasen noch durch Operation, Chemo- und Immuntherapie geheilt werden. Bereits jetzt erkennbare Probleme der Zukunft sind (1) die steigende Kostenbelastung des Gesundheitssystems durch die Entwicklung der Krebstherapie und (2) der Mangel an Ärzten bei einer zunehmenden Zahl an Tumorpatienten, infolge der steigenden Lebenserwartung. Diesen Herausforderungen müssen sich die Medizin, der Gesundheitsmarkt und die Gesundheitspolitik stellen – zum Wohle von Patienten und unserer Gesellschaft.



Wie messen Sie Erfolg?


Mit meiner Freude an dem, was ich tue. Nicht nur als Arzt, sondern auch als junger Forscher. Aber natürlich ist Erfolg auch für mich, wenn ich eine Arbeit in einem wissenschaftlichen Journal veröffentliche oder auch einen Preis gewinne. Nach jedem Erfolg, auch wenn er noch so klein ist, motiviere ich mich weiter zu machen, um einen weiteren Erfolg zu erzielen.



Was treibt Sie als Arzt an und woher nehmen Sie Ihre Kraft?


Ich liebe es, Arzt zu sein. Ich gehe jeden Tag gern zu Arbeit und verbringe auch sehr viel Zeit während meiner Freizeit mit dem Thema Onkologie. Das Sprichwort „Das Arztsein ist eine Berufung, nicht ein Beruf“ passt glaube ich sehr gut zu mir.



Der Planet Medizin, einer der aktivsten Gruppen des Netzwerks, organisierte im Oktober wieder ein Symposium in Bozen. Was gefällt Ihnen besonders am Planeten?


Ich finde nicht nur das Konzept Südsterne, sondern auch das der verschiedenen Planeten sehr interessant, da es uns Südtiroler ermöglicht mit unserer Heimat im Kontakt zu bleiben und die lokalen Trends in den verschiedensten Bereichen zu verfolgen. Als ich mich vor ein paar Jahren angemeldet habe, habe ich mich sofort informiert, ob jemand in der Gruppe Krebsforschung betreibt. Ich war über die vielen Antworten sehr positiv überrascht, die ich innerhalb weniger Tage erhalten habe. Zudem hat man sich mit einigen gleich intensiv ausgetauscht und um genau dies geht es schließlich auch: Planet Medizin bietet nicht nur die Möglichkeit sich über Kontakte, Infos zu Veranstaltungen oder Jobangebote zu informieren, sondern sich auch sich zu vernetzen.

Ich bitte um eine Empfehlung: Welche Bücher sollte man gelesen haben, um als Laie ein Grundverständnis Ihres Fachbereiches zu erhalten?


Ein Buch, das ich empfehlen würde, wäre der Bestseller von Siddhartha Mukherjee „Der König aller Krankheiten: Krebs – Eine Biografie“. Hierin beschreibt der Autor, welcher selbst ein Arzt ist, die Geschichte der Tumorerkrankung und dessen Bekämpfung. 



Wie sehen Ihre beruflichen Pläne aus? Können Sie sich vorstellen nach Südtirol zurückzukehren?


Ich habe derzeit einige Projekte (u. a. auch mit der EURAC) in Innsbruck laufen, die ich sicherlich auch hier zu Ende führen werde. Mein Ziel in den nächsten 5 Jahren ist es, neben meine Facharztausbildung zu vollenden, zu habilitieren, um so auch jüngere Ärzte und Medizinstudenten unterrichten zu können. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, in Zukunft irgendwann nach Südtirol zurückzukehren, insofern ein interessantes Jobangebot zur Verfügung stehen würde. Südtirol hat nämlich ein sehr starkes Potenzial Spitzenmedizin zu betreiben, wie wir ja schon an gewisse Abteilungen an unseren Krankenhäusern sehen. Woran noch gearbeitet werden muss, ist die klinische Forschung: Uns fehlen noch motivierte Ärzte und Professoren, die interessante Projekte und klinischen Studien nach Südtirol holen. 



Was wünschen Sie sich für Südtirol?


Südtirol ist ein Land mit sehr vielen Möglichkeiten, genutzt werden aber leider nur sehr wenige. Forschungstechnisch wird sehr wenig gemacht, obwohl es im Sanitätsbetrieb sehr motivierte Ärzte und Wissenschaftler gäbe, die z. B. erst kürzlich eine Vereinigung Namens IMREST gegründet haben. Das erste Meeting von IMREST im Krankenhaus Bozen war sehr erfolgreich und wurde gut besucht, allerdings waren nur wenige von der Führungsebene anwesend. Südtirol und dabei spreche ich v. a. die Politik an, muss dringend in den nächsten Jahren die nötigen Grundsteine legen, um motivierte Ärzte und Wissenschaftler zu unterstützen, damit einerseits kein Ärztemangel auftritt und zweitens alle Südtiroler Patienten nach bestem Ermessen therapiert werden können. Ich verfolge die Krebsmedizin in Südtirol sehr und ich habe das Gefühl, dass sich in den nächsten Jahren einiges tun wird, von denen alle Südtiroler Patienten profitieren werden.


Interview: Alexander Walzl

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