Das Gehirn, die Maschine in unserem Kopf

Montag, 27.02.2017

Der nächste Planet Science Talk steht an: Am 07.03.2017 wird der 42jährige Algunder Johannes Frasnelli ab 17 Uhr in der Freien Universität Bozen über „ Das Gehirn, die Maschine im Kopf“ referieren.


Südstern hat den Wissenschaftler und Wahl-Kanadier interviewt und interessante Erkenntnisse über unseren Geruchsinn, Wein und Babys gewonnen.

 

Herr Frasnelli, Sie sprechen im Rahmen des diesjährigen Planet Science Talk über „Das Gehirn, die Maschine im Kopf“. Wie ist dieser Titel zu verstehen?

 

Mit meinem Referat in Bozen möchte ich den Zuhörern aufzeigen, was das menschliche Gehirn leistet und Antworten geben auf die Fragen „Was macht das Gehirn?“, „Woraus besteht es?“, „Wie funktioniert es?“. Wissen Sie, das Gehirn ist eine sehr komplexe „Maschine“, ein sehr komplexes Gewebe. Es erlaubt uns, uns zu bewegen, zu denken, Gefühle wie Liebe oder Hass zu empfinden. Und eben diese Komplexität versuche ich für das Referat so aufbereiten, dass die Allgemeinheit sie versteht. Denn ich bin Wissenschaftler mit Leib und Seele; meine Arbeit wird von öffentlichen Mitteln finanziert. Nicht nur deshalb sehe ich es auch als meine Aufgabe, die Resultate daraus so aufzubereiten, dass sie für die Allgemeinheit zugänglich und nachvollziehbar sind.

 

Sie sind Professor an der Universität von Quebec (UQTR) und Forscher am Center for Advanced Research in Sleep Medicine am Sacre-Coeur de Montreal. Woran forschen Sie?

 

Nun, ich forsche hauptsächlich zu den Themen Riechen und Schmecken. Einfach ausgedrückt, untersuche ich, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir riechen und schmecken, wenn wir Körpergerüche, Lebensmittel usw. wahrnehmen.

 

…und das wäre?

 

Der Geruchssinn funktioniert ganz anders als alle anderen Sinne. Betrachtet man die Neuroanatomie, dann funktioniert das so: Die Duftstoff-Moleküle wandern in die Nase, wo die Rezeptoren erregt werden und Signale an das Gehirn senden. Die Verbindungen der Nervenzellen von der Nase zum Gehirn sind kurz, die Gerüche gelangen also unmittelbar ins Gehirn und werden dort verarbeitet. Die Regionen im Gehirn, die für die Verarbeitung zuständig sind, sind dieselben, die auch für die Gefühle, für das Lernen, das Gedächtnis, das Belohnen zuständig sind. So entstehen bei jedem von uns z. B. auch Erinnerungen, die wir mit bestimmten Gerüchen verbinden. Wenn ich beispielsweise den Duft von frisch gekochten Erdäpfeln rieche, sehe ich meine Oma vor mir, die für mich, als „Bua“, gekocht hat, in ihrer Kleiderschürze.

 

Die Erkenntnisse, die Sie aus Ihrer Forschung gewinnen, können der medizinischen Früherkennung von Krankheiten dienen. Inwiefern?

 

Das ist zutreffend, z. B. bei Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer. Als typisches Parkinson-Symptom kennt die Öffentlichkeit das Zittern. Dieses trifft jedoch nur auf 60% bis 75% der Betroffenen zu, bei anderen Patienten äußert sich die Krankheit durch andere Probleme wie Starre oder Bewegungsarmut. Was aber bei 90% bis 95% aller Betroffenen zutrifft, ist die Tatsache, dass sie schon früh an einer Riechstörung leiden. Dieses frühklinische Zeichen tritt schon zehn oder mehr Jahre vor Ausbruch der Krankheit auf. Nun kann es aber viele unterschiedliche Gründe dafür geben, warum Menschen ihren Geruchssinn ganz oder teilweise verloren haben. Wir wollen nun erforschen, ob es eine spezifisch erkennbare Beeinträchtigung des Geruchssinnes gibt, die Hinweis auf eine Parkinsonerkrankung gibt. Dasselbe gilt übrigens für Alzheimer: bekannt sind die Gedächtnisprobleme – obwohl auch diese Patienten schon lange vor Ausbruch der Krankheit an einer Riechstörung leiden.

 

Sie sagen also, dass sich nicht jeder Mensch, der – aus welchem Grund auch immer – einen eingeschränkten Geruchssinn hat, fürchten muss, später an Alzheimer oder Parkinson zu erkranken?

 

Absolut nicht. Das Erkennen von Gerüchen ist allgemein sehr schwierig. Ich möchte hier ein Beispiel anführen, das wohl die meisten von uns kennen: Ein ausgebildeter Sommelier kann bestimmte Aromen im Wein durch Riechen erkennen; Laien können – wenn überhaupt – erkennen, ob der Wein korkt. Sie beurteilen den Wein einzig danach, ob er ihnen schmeckt oder nicht. Das Schwierige ist, die richtige „Etikette“ für einen Geruch zu finden. Denn wenn wir einen Geruch einordnen wollen, müssen wir in unserem Gehirn zwei unterschiedliche Zentren zusammen führen, jenes, das für das Erkennen zuständig ist und das andere, das für den Ausdruck zuständig ist. Aber um zurück zu kehren: man muss sich pauschal also keine Sorgen machen, wenn man ein eingeschränktes Riechvermögen hat; rund 20% der Menschen haben Riechprobleme.

 

Wir sind bei einem Südtiroler Qualitätsprodukt angelangt, dem Wein. Können die Erkenntnisse aus Ihrer Forschung auch in der Entwicklung und später in der Vermarktung von Lebensmitteln angewandt werden?

 

Wir betreiben Grundlagenforschung und schaffen so die Basis für die angewandte Forschung, die exakt dies tut: Forschungsergebnisse ummünzen in Anwendungsmodelle – unter anderem auch für die Wirtschaft. Wir haben eine Studie durchgeführt, in der wir erforscht haben, inwieweit der Geruch – erst allein und dann in Verbindung mit bestimmten Informationen – in unserem Gehirn eine Erwartungshaltung auslöst. Dazu haben wir unsere Probanden an Parmesan riechen lassen, mit der Information, dass es sich um Parmesan handelt. Die Probanden haben bestätigt, dass es sich um Parmesan handelte. Bei einer zweiten Probe haben wir sie wieder an Parmesan riechen lassen, aber mit der Information, dass es sich um getrocknetes Erbrochenes handelte. Auch das haben die Probanden bestätigt – weil sich durch unsere Information ihre Wahrnehmung beeinflussen ließ.

Das, was wir im Kleinen studiert haben, ist gang und gäbe in der Vermarktung von Lebensmitteln oder andern Produkten. Produkte mit Gerüchen zu versehen, ist eine Art von Werbung, die wir nur unbewusst wahrnehmen. TV-Werbung, Plakatwerbung usw. hingegen nehmen wir als solche wahr und hinterfragen sie deshalb auch manchmal. Weil wir Gerüche aber immer mit Wirkungen verbinden, lassen wir uns hierbei beeinflussen: So denken wir, dass Spülmittel, das nach Zitrone oder Apfel riecht, gut spült – geruchslosem Spülmittel würden wir dieses Attribut nicht zuordnen. Oder wir verbinden z. B. Pfefferminze mit Frische und Sauberkeit und greifen daher bei Zahncremes oft zur Pfefferminz-Variante.

 

Ich habe von einer Studie von Ihnen gelesen: Sie haben den Geruch von Neugeborenen erforscht. Erzählen Sie davon!

 

Es ist eine spezifische Studie, in der wir uns dafür interessieren, wie wir Menschen aufgrund von Körpergerüchen aufeinander wirken. Nun hat uns vor allem folgendes Phänomen interessiert: Wenn Menschen Eltern werden, dann sind sie überschwänglich vor Glücksgefühlen, sagen, Eltern zu sein, sei das Schönste auf der Welt. Wir haben uns einen sehr sachlichen, pragmatischen Forschungsansatz erlaubt, in dem wir sagen: Ein Neugeborenes ist im Grunde – verzeihen Sie – „lästig“, muss gefüttert werden, schläft, schreit, man muss es umsorgen. Wir sind also zu dem Schluss gekommen, dass es biologische Mechanismen geben muss, die diese Glücksgefühle auslösen.

In unserer Studie haben wir Probandinnen, Mütter und Nicht-Mütter, an von Neugeborenen getragenen Pyjamas riechen lassen und aufgezeichnet, was dabei in ihrem Gehirn passiert: Die Zentren, die durch das Riechen des Neugeborenen-Geruchs, aktiviert wurden, sind die Zentren für Emotion, für Belohnung. Kurz gesagt, sind es dieselben Zentren, die aktiviert werden, wenn man bei starkem Hungergefühl endlich essen kann oder wenn ein Drogenabhängiger endlich seine Drogen bekommt. Der Geruch der Babys wirkte wie Drogen auf das Gehirn. Aus diesem Grund kommt die starke Bindung zwischen Neugeborenen und Eltern zustande. Und das ist ja auch im Interesse der Evolution, im Interesse von Kind und Mutter.

 

Wechseln wir Thema: Können Sie sich vorstellen, nach Südtirol zurück zu kehren?

 

Diese Frage stelle ich mir selber auch. Es gibt verschiedene Pros und Contras. Derzeit erlaubt meine Lebenssituation die Rückkehr nicht; der Sohn meiner Frau ist zwölf und lebt abwechselnd bei uns und bei seinem Vater. Deshalb kommt Wegziehen derzeit nicht in Frage. Ich bin aber schon früh von zu Hause weg, bin mit 19 nach Wien zum Studium, mit 26 nach Deutschland und mit 32 nach Kanada. Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Reise schon zu Ende ist, deshalb kann es durchaus sein, dass ich in Zukunft irgendwo anders Station mache, aber auch, dass ich wieder nach Südtirol heimkehre.

Dabei stelle ich mir aber die Frage, was ich denn in Südtirol konkret mit meiner Expertise machen könnte. Ich verfolge mit Interesse, was an der Universität Bozen passiert, an der Eurac, an der Laimburg. Es gibt zudem total spannende Trends in der Gastronomie und sehr innovative Südtiroler Unternehmen, von daher könnte es schon auch Arbeitsmöglichkeiten geben. Wie ich schon gesagt habe, ist meine Forschung aber Grundlagenforschung und nicht unmittelbar und kurzfristig in Unternehmen einsetzbar, was es natürlich schwieriger macht, in der Wirtschaft tätig zu sein.

Ich trage Südtirol aber im Herzen und natürlich fehlt mir das gute Essen, meine Familie, meine Freunde dort. Die unglaubliche Landschaft Südtirols fehlt mir und die Möglichkeiten, die damit verbunden sind, z. B. am Samstagmorgen nach dem Frühstück einfach mal spontan Ski fahren zu gehen. Und man ist innerhalb von vier Autostunden in den unterschiedlichsten europäischen Ländern.

 

Was bedeutet Südstern für Sie?

 

Ich bin schon seit langem Südstern – ich glaube sogar, von Anfang an. Ich habe öfters an Events teilgenommen und bin froh, Südstern zu sein. So kann ich meine Kontakte mit der Heimat bewahren und auch jungen Südtirolern, die nach Kanada auswandern wollen, unterstützen. Und die Flexibilität ist angenehm: ich kann mal mehr, mal weniger aktiv sein, das Netzwerk aber jederzeit nutzen.

 

Johannes Frasnelli, ich bedanke mich für das Interview und Ihre Zeit. Bis bald in Südtirol.

 

Danke und liebe Grüße.


 

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Südtirol
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