5 Fragen an Gründerin Sara Canali

Mittwoch, 07.12.2022
Wenn man mit einem Satz beschreiben müsste, welches Ziel Südstern Sara Canali mit ihrem Bekleidungs-Start-up SHER verfolgt, dann mit diesem: Sie will Probleme lösen, die Frauen haben, die Rad fahren. Erfahrung brachte sie für dieses Ansinnen reichlich mit. Die 48-Jährige arbeitete als Product Director bei Odlo und The North Face und machte sich später als Innovationsberaterin selbstständig. Die Idee zu einer eigenen Sportmarke für Frauen hatte sie schon lange in der Tasche. Der richtige Zeitpunkt für den Launch kam – überraschenderweise – mitten in der Corona-Pandemie. Wir haben mit Sara über ihre Erfahrungen als Gründerin gesprochen.

 

 

Was war dein Gamechanger auf dem Weg zur Gründung?

Im Grunde gab es zwei ganz wesentliche Punkte. Bei Odlo war ich verantwortlich für die gesamte Produktabteilung, und ich merkte, dass in Sachen Businessmodell, Prozesse und Verkaufsstrategien selbst ein Mangel an Innovation da war. Dieses Thema reifte in meinem Kopf und blieb dann doch liegen, auch als ich längst von Odlo weg war und als selbstständige Beraterin arbeitete. Dann bin ich Mama geworden und hatte das Bedürfnis, mich im Bereich Innovation fortzubilden. An der Stanford University im Silicon Valley habe ich ein passendes Masterprogramm gefunden. Lead war ein kompletter Gamechanger für mich. Wir beschäftigten uns mit Fragen wie: Was bedeutet Innovation, wie finanziert man das, wie schafft man eine Innovationskultur? Das hat mir nicht nur die Tools gegeben, es auch wirklich zu können, sondern auch den Schub zu sagen: Jetzt mache ich das. Also habe ich ein Businessmodell entwickelt. 

 

Was hat dich davon abgehalten, es gleich umzusetzen?

Ich hatte alles und trotzdem fehlte mir die Courage, es alleine anzugehen. Dann traf ich eine Kollegin, mit der ich vor Jahren bei The North Face gearbeitet habe. Sie war von meiner Idee sofort begeistert und sagte: Das machen wir. Jemanden an meiner Seite zu haben, der zur richtigen Zeit etwas mit mir wagt, das war der zweite entscheidende Punkt. 

 

Was ist schwieriger: vorbereiten oder anfangen? 

Wenn du weißt, was du machen willst, Erfahrung und ein Netzwerk mitbringst, ist anfangen am Ende gar nicht schwierig. Der Grundstein wurde in der langen Vorbereitung gelegt. Der größte Meilenstein war aber der Moment, als meine Kollegin aufgesprungen ist. Wir haben uns zwar relativ schnell wieder getrennt. Aber damals hat mir ihre Zusage den letzten Kick gegeben.  

 

Was hat dein Produkt, was andere nicht haben?

Um zu verstehen, was Radfahrerinnen brauchen, habe ich Interviews mit 300 Frauen in ganz Europa geführt. Ich wollte wissen, was sie sich wünschen, welche Probleme sie auf dem Sattel haben. Das Thema Infektionen ist zum Beispiel ein Tabu. Niemand redet darüber, aber es betrifft so viele Frauen. Das erste Produkt, das ich entwickelt habe, war deshalb ein Sitzpolster, das genau solche Probleme löst. Dieser lösungsorientierte Ansatz ist ein Bereich, in dem wir uns klar unterscheiden. Und dann möchte ja jede Frau Bekleidung, in der sie sich wohl fühlt und die eine gute Passform hat, nicht nur in kleinen Größen. Jede Radhose hat zum Beispiel einen Gummizug am Oberschenkel, obwohl jede Frau das hasst. Also haben wir nach technischen Lösungen gesucht, einen Abschluss ohne Gummizug zu machen. Oder wir haben eine Trägerhose entwickelt, mit der jede Frau auf die Toilette gehen kann, ohne dass sie von der Jacke zur Hose alles ausziehen muss. Und dann die Farben: Bei Sher gibt es keine Trendfarben und keine saisonalen Kollektionen. Unsere Produkte sind zeitlos, hochwertig und vergehen nicht. Jede Farbe kann mit der anderen kombiniert werden. 

 

Wie nachhaltig sind Produkte von Sher?

Wenn man im Jahr 2020 gründet, dann muss der Umgang mit Ressourcen ganz selbstverständlich mitgedacht werden. Das fängt schon im Designprozess an, im Moment, wo das Produkt zum Leben erweckt wird. Hier sind wir ständig auf der Suche nach Verbesserungen. Jede Firma muss für sich definieren, was Nachhaltigkeit für sie bedeutet. Wir haben nur wenige, aber extrem ausgeklügelte Produkte und jedes davon löst ein spezielles Problem, das die Frau hat. Wäre das nicht der Fall, braucht es das Produkt nicht – davon gehen wir aus. Unser Ziel ist, die Passform so gut zu machen, dass die Stücke auch wirklich getragen werden. Wie oft kauft jemand etwas und am Ende bleibt es im Schrank liegen, weil es eben nicht wirklich angenehm ist. Passformen gehen für mich also Hand in Hand mit Nachhaltigkeit. Dann produzieren wir in Europa, die Materialien kommen aus Italien, sie sind hochwertig und langlebig. Ein weiterer Punkt ist der Versuch, die Materialien so wenig wie möglich untereinander zu vermischen. Je mehr Fasern kombiniert werden, umso schwieriger ist es, sie später wieder zu trennen. Hier möchten wir die Grundlage für die Kreislaufwirtschaft legen. Außerdem kaufen wir sehr viele Restposten auf. Diese haben die gleiche Qualität wie die von uns verwendeten Stoffe und bleiben übrig, weil zum Beispiel falsch kalkuliert wurde. 1,5 Tonnen Restmaterialien haben wir seit unserem Start bereits verarbeitet. Das würde normalerweise alles weggeschmissen oder verbrannt. Unglaublich, nicht? 

 

Welche Kundinnen wünschst du dir?

Wir erreichen mit unseren Produkten Frauen, die einen gewissen Anspruch haben. Sie wollen gut ausschauen, wenn sie Sport machen. Sie suchen Stücke, die eine gute Passform haben. Es ist ihnen wichtig, wo und wie etwas produziert wird, welche Materialien verwendet werden. Sie sind aufmerksam und haben auch die Bereitschaft, mehr Geld dafür auszugeben. Die Stücke von Sher sind nicht günstig, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass wir in Europa produzieren und teurere Materialien verwenden.  

 

Warum gibt es die Produkte von Sher in ausgewählten Geschäften?

Wir verkaufen vorwiegend online und direkt: Wir sind bei vielen Events vor Ort, wo Interessierte die Produkte direkt erleben können. Wer mag, kann aber auch bei uns im Showroom im Noi Techpark einen Termin vereinbaren und die Teile anschauen und probieren. Wir sind bei Geschäften aus einem bestimmten Grund selektiv. Speziell im Radbereich brauchen Kundinnen Beratung – und diese wünschen sie sich von einer Frau. Dieser Anspruch ist in Sportgeschäften nicht immer so leicht umzusetzen, weil dort viele Männer arbeiten. In Zukunft wollen wir unseren direkten Kontakt mit unseren Kundinnen ausbauen und unsere Präsenz erhöhen. Jetzt skaliert unser Unternehmen. Wir passen unser Businessmodell schrittweise an und überlegen, wie wir schneller wachsen und noch mehr Frauen einbinden können. Unser Ziel ist, in Europa schon sehr bald eine führende Radmarke für Frauen im Premiumsegment zu sein. 

 

Du hast mit 45 Jahren gegründet – eine entscheidende Phase im Leben?

Ich hatte ein kleines Kind daheim. Ich brachte berufliche Erfahrung mit, die mich geprägt hat. Das war die Ausgangssituation. Der Übergang, selbst Unternehmerin zu sein, ist nicht einfach. Als ich angestellt war, hatte ich viele Ressourcen zur Verfügung. Nun hieß es für mich, diese selbst zur Verfügung zu stellen. Die Lernkurve ist, seit ich angefangen habe, noch immer sehr hoch.  

 

Auf welchen Erfolg mit deinem Team bist du besonders stolz?

Megastolz macht mich, dass sich so viele Frauen um mich herum für das Projekt begeistern und wir etwas geschaffen haben, das authentisch ist. Ich habe ein Team aus freien Mitarbeiterinnen und Praktikantinnen, die für Sher arbeiten. Dabei sind wir nicht ständig alle gemeinsam vor Ort. Eine Mitarbeiterin sitzt in Modena, die andere in Berlin. Es ist mir wichtig, Talente einzubinden, auch wenn sie in einer anderen Stadt leben oder gerade wegen der Familiengründung nicht so viel Zeit haben. Und dann natürlich meine Freundinnen, die mir bei Fotoshootings und Events helfen oder die Stücke testen. Frauenpower, wohin wir schauen.  

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