Die wichtigste Lektion? Seine Kunden kennen

Dienstag, 25.08.2020
Gerd Pirchers beruflicher Werdegang ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass nur jene weit in der Welt herumkommen, die sich immer wieder neu erfinden. Pircher, 47 Jahre, hat sein ganzes Leben bei derselben Bank gearbeitet. Extrem linear, nennt er seinen Berufsweg selbst. Aber es wird kaum Südsterne geben, die für ihre Arbeit in mehr Ländern gelebt haben als er. Mindestens drei große Krisen hat der Generaldirektor der britischen Großbank HSBC miterlebt – was er daraus für die Zukunft mitnimmt, wird nur ein Thema sein, über das er beim diesjährigen Südstern BUSINESS TALK mit drei weiteren Speakern sprechen wird. Porträt über einen, dem Sprachen das Tor zur Welt geöffnet haben.

 

Banker werden, das war nie das erklärte Ziel von Gerd Pircher. Als er die Handelsschule in Bruneck abgeschlossen hatte, schrieb er sich für BWL ein. Weil er sich einbildete, dass einem dieses Studium am meisten Tore öffnen würde, wenn man selbst nicht so recht wusste, durch welches Tor man einmal gehen will. Nur, was er nicht will, das wusste er früh. In Innsbruck oder Trient studieren zum Beispiel. Das war einfach viel zu nahe an daheim.  

 

Also Parma. Eine glückliche Fügung. Denn in der Stadt entdeckte er nicht nur seine Liebe zu gutem Essen, sondern verstand, wozu Sprachen gut sein können. Zwei Professoren hatten wesentlichen Anteil daran. Und plötzlich entdeckte er seine Freude am Reisen, auch als Schlüssel zur Kultur eines Landes. „Das hat mich abgeholt und neugierig gemacht, mehr als ich ohnehin schon war.”

 

Pircher sitzt in seinem Büro in Mailand. Wenn er zum Fenster hinausschaut, sieht er den Mailänder Dom und das Castello Sforzesco. „Ich arbeite seit 25 Jahren und 22 Tagen für HSBC”, sagt er und muss selbst über diesen Satz lachen. Es ist seine erste richtige Arbeitsstelle, wenn man von ein paar Praktika und Sommerjobs in jungen Jahren einmal absieht. Den Job ergattert er durch Zufall, von der Bank hatte er vorher noch nie gehört. Es war das Jahr 1995 und die Bank gerade dabei, sich noch internationaler aufzustellen. Die Stellenbeschreibung sagte ihm zu. Gesucht wurden Menschen, die mobil sind und eine internationale Karriere im ständigen Wandel anstreben. 

 

Es ist der Beginn einer kleinen Welterkundung. Nach einem kurzen Training in Großbritannien, wo er in den Kader der permanent mobilen Generalisten aufgenommen wird, fängt er in Dubai an. Seine spätere Frau, Elisabeth, besucht ihn für ein paar Monate. „Wir haben gesehen, das kann gut gehen.” Die teuerste Telefonrechnung? Pircher grinst. „1500 Dollar”, sagt er.

Es folgen Hongkong, Thailand, Indien, Brasilien. Da lässt er sich ein Jahr lang beurlauben, um in Lausanne seinen MBA zu machen. Cambridge, London, Düsseldorf, Mailand, zurück nach Brasilien. Mittlerweile spricht er sechs Sprachen. Immer an seiner Seite: Seine Frau, mit der er zwölf Umzüge meistert und drei Söhne bekommt. Jeder kommt in einem anderen Land zur Welt. Und Pircher macht weiter Karriere. Dass seine Frau sich beruflich neu erfunden hat, und jetzt genau das macht, was ihr Spaß macht, freut ihn besonders. Seit vier Jahren ist er wieder in Mailand. Wer Gerd Pircher kennt, weiß, dass er wieder aufbrechen wird. 

 

Covid-19 ist nicht die erste Krise, die er erlebt hat. „2007 und 2008 ging es darum, Risikoentscheidungen zu treffen. Jetzt hingegen ist Logistik ein zentrales Thema.” Eines, in dem Unternehmen die Nase vorn haben, die sich möglichst schnell anpassen können. Über zwei Monate war die Bank praktisch zu, die Mitarbeiter*innen im Homeoffice. Smartworking war in der Zeit vor Corona bei HSBC kein Fremdwort. „Aber viele Vorgesetzte waren nicht davon begeistert.” Während der schlimmsten Zeit der Corona-Krise arbeiteten mit einem Mal 85 Prozent von weltweit 235.000 Angestellten im Homeoffice. Die Erfahrungen waren positiv. Pircher ist immer noch erstaunt, wie viel im Dienstleistungssektor von Zu Hause aus erledigt werden kann. „Ich habe die Bank praktisch vom Esstisch aus geführt.” Selten konnte er Entscheidungen so schnell treffen wie jetzt. Es ist die Geschwindigkeit, die sich Macher wie er öfter wünschen würden. 

 

Manchmal kommt es aber auf Geduld an. Als kleiner Bub war Gerd Pircher oft im Geschäft seiner Eltern in Sand in Taufers. Der Despar Markt Pircher, eine Institution, damals wie heute. Hier lernte er die wichtigste Lektion für sein späteres Berufsleben. „Mein Vater legte großen Wert darauf, seine Kunden zu kennen. Er nahm sich Zeit, merkte sich, welche Lebensmittel sie mochten und welche nicht”, sagt er. „Und er bestand darauf, dass wir jeden einzelnen Kunden mit dem Namen ansprechen.“

 

Kenne deine Kunden. Im Lockdown ist Gerd Pircher das Credo seines Vaters einmal mehr bewusst geworden. So einfach und doch so wirkungsvoll. 

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