„Handwerk und Tradition dürfen dich nicht einengen”

Freitag, 25.07.2025
Beim Jahresevent erhielt Stargast Reinhold Messner ein besonderes Geschenk: Die Skulptur aus Holz zeigt ihn auf dem Gipfel seiner geliebten Berge und lässt ihn über den Horizont blicken. Der Künstler, der sie geschnitzt hat, blickt wie Messner gerne über den Tellerrand. Mit Witz und Präzision bildet Christian Piffrader Räume des Alltagslebens und Szenen nach, die sich jeden Tag irgendwo abspielen. Seine Miniaturwelten erzählen vom Gewöhnlichen – und machen es besonders. Die Arbeitsstunden, die er investiert, um diese Mini-Welten zum Leben zu erwecken: unzählbar. Die Kreativität: beeindruckend. Was ihn antreibt und warum er sich in der Kunst ganz frei fühlt, erzählt er im Gespräch.

 

 

Du hast die Skulptur für Reinhold Messner gestaltet, die ihm beim Jahresevent von Südstern überreicht wurde. Was stand bei der Gestaltung im Fokus?

Ich habe mein Holzlager durchgesehen, da ist mir ein konkaver Halbstamm aufgefallen. Es war stimmig für mich, diesen zu bearbeiten, die Berge der Geislergruppe aus diesem Halbstamm zu schnitzen und Reinhold Messner als kleine Figur ganz oben aufzusetzen. Er ist ja einer, der in die Welt hinausgegangen ist, der als Bergsteiger Unglaubliches geleistet hat und deshalb gehört er für mich auch oben hin. An dem Abend hat er es auch selbst so schön beschrieben: Als Kind ist er der Sonne entgegengestiegen, um über das Tal hinauszusehen. Diese Aussage steht für meine Skulptur, Reinhold steht ganz oben und sein Blick zieht über die Berge.

 

Bist du ein geduldiger Mensch?

Wenn man meine Werke betrachtet, könnte man meinen, es kommt vor allem auf die Geduld an. Aber es braucht in erster Linie ein geschultes Auge und ein räumliches Vorstellungsvermögen. Das habe ich von meinen Eltern mitbekommen. Meine Mutter war sehr kreativ. Sie zeichnete viel mit uns Kindern – große Blätter voller Landschaften, Tiere und Häuser. Mein Vater hat geschnitzt. Ich erinnere mich, wie ich als Ministrant in der Kirche von Stegen von unten die Figuren betrachtet habe. Ich fragte mich oft, wie sie entstanden sind? Als mein Vater mir eines Tages dann Schnitzeisen zeigte, war ich zunächst enttäuscht, so einfaches Werrkzeug? Ich dachte, solche Figuren müssen doch von komplizierten Geräten, also Maschinen, geschnitzt werden! Trotzdem fing ich an zu schnitzen und es entstanden die ersten Gesichter. Sie waren sehr expressiv, ich ging unbefangen an das Werk, genau das gefiel mir. Die Arbeit mit Holz ließ mich nicht mehr los, weshalb ich die Schnitzschule in St. Jakob im Ahrntal besuchte. 

 

Die Ausbildung zum Holzbildhauer folgt oft einem traditionellen Weg. Wie hast du deine eigene Handschrift gefunden? 

Zunächst gar nicht, es dauert, bis man die Technik des Schnitzens beherrscht. In St. Jakob erlernte ich das Handwerk, aber man konnte auch bestimmte Themen frei gestalten. In der Schnitzschule in Gröden, die ich zur Vertiefung meiner Kenntnisse besucht habe, war das etwas anders. Zwei Jahre lang fertigten wir fast nur Kopien an, es blieb wenig Spielraum für freies Arbeiten.  Nach der Ausbildung in Gröden bin ich in ein großes Loch gefallen. Ich wollte keine Christus-Figuren und Madonnen schnitzen, das war nicht meine Vorstellung von Bildhauerei. Ich habe fast zwei Jahre gar nichts mehr geschnitzt.

 

Was hat dich wieder zurück zur Kunst geführt?

Wissen: Ich ging an die HTL nach Graz, Fachrichtung Bildhauerei, um mich weiterzubilden. Dort habe ich gesehen, dass man Bildhauerei auch ganz anders denken kann – nicht mehr nur Kopien von historischen Figuren schnitzen, sondern wir arbeiteten mit dem Raum. Das war weit weg von der Tradition, wie ich sie kannte. Auch die Wahl der Materialien war frei: Es war egal, ob du mit Fotos, Metall, Stein oder Holz gearbeitet hast. Zentral war das gestellte Thema und die Diskussionen über die fertigen Arbeiten. Das war eine Befreiung für mich und hat mich sehr begeistert. Und noch etwas habe ich verstanden: Wie sehr ich den Blick über Südtirol hinaus brauche. Ich habe mich in Graz viel in der Oper und in verschiedenen Museen aufgehalten, was mich inspirierte. Auf der Kunstakademie in München ging dieser Weg weiter. Da stand am Vormittag das klassische Aktstudium an und am Nachmittag hatten wir genug Zeit für das Entwickeln neuer, selbstständiger Arbeiten. 

 

Bekannt wurdest du zunächst mit deinen Miniatur-Räumen. Wie kam es dazu? 

Ich wollte weg vom reinen Abbilden und habe Räume des Alltags im Maßstab 1:20 nachgebaut, z.B. mein Studentenzimmer oder das Zimmer eines befreundeten Cellospielers. Es war eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Erinnerung und Lebensraum, der Alltag wurde mein Thema.  

 

Aktuell arbeitest du an einem besonderen Projekt, einem „Kopftagebuch“. Was fasziniert dich an diesen Momentaufnahmen des Alltäglichen? 

Ich gestalte jeden Tag ein Gesicht, mittlerweile bin ich bei Nummer 122. Durch das Projekt sehe ich den Alltag aus einer anderen Perspektive. Ich gehe aufmerksamer durch den Tag, nehme Dinge bewusster wahr. Es können Gespräche sein, Begegnungen, Eindrücke – ich versuche, sie in einem Gesicht festzuhalten. Dabei geht es mir nicht um Perfektion, es muss ein Raum bleiben für Spontaneität. Man könnte die Figuren ganz realistisch machen, aber es ist gut, wenn sie nicht perfekt sind – weil ich versuche, den Augenblick einzufangen. 

 

Stehen die Figuren für bestimmte Personen oder sind sie Stellvertreter?

Das sind eher Stellvertreter, sie stehen für den Moment, für den Augenblick. Manche Figuren haben auch kaum Züge. Es geht nicht um Wiedererkennbarkeit, sondern es muss darüber hinaus gehen, vielleicht ein Suchen nach der Wahrheit. Im Grunde zeige ich dadurch viel von mir selbst.  

 

Wann bist du mit einem Werk zufrieden? Gibt es den Moment überhaupt?

Nein, den gibt es nicht. Gerade deshalb mag ich das Projekt mit den Köpfen so gerne. Die bleiben so stehen, wie ich sie gerade gefertigt habe, ohne am nächsten Tag wieder daran zu arbeiten. Es tut gut loszulassen. Manche Arbeiten bleiben auch zwei Jahre unberührt, bevor ich wieder daran arbeite.

 

Du pendelst zwischen Bruneck und München: Wie erlebst du diesen Kontrast? 

Der Kontrast ist sehr groß, als Student sagte man „Kulturschock“ dazu: Bruneck ist mein Rückzugsort, hier habe ich zurzeit auch mein Atelier, dort kann ich in Ruhe arbeiten. Für mich ist es wichtig, immer wieder wegzukommen. Dieser Wechsel ist für mich ein Antrieb, er bringt mir neue Erkenntnisse, neue Auseinandersetzungen, es ist lebenswichtig. Ich bin Klassenleiter in der Meisterschule für Bildhauerei, das macht mir großen Spaß, und ich kann viel mitnehmen für meine eigene Arbeit. Die Schülerinnen und Schüler sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, sie kommen aus ganz Deutschland. Der Austausch, das Weitergeben von Erfahrung oder die verschiedenen Diskussionen mit ihnen halten mich wach und in Bewegung. Außerdem liegt die Schule im Herzen Münchens und ist umgeben von weltberühmten Museen.

 

Wie gestaltest du deinen Unterricht - im Vergleich zur eigenen Ausbildungszeit?

Heute muss man den Auszubildenden viel mehr Vertrauen schenken. Die Schülerinnen und Schüler sind weiter und selbstbewusster als wir damals. Man muss sie motivieren, ihnen Mut und Offenheit zusprechen und mit Ihnen versuchen, einen eigenen Weg zu finden. Dazu lehren wir verschiedene handwerkliche Techniken. Wir erarbeiten gestalterisch verschiedene Themen und experimentieren gemeinsam. 

 

 

Also weg von den klassischen Wurzeln… 

Handwerk und Tradition sind wichtig. Aber sie dürfen dich nicht einengen, sondern müssen offen genug sein, damit man sich weiterentwickeln kann. Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche, wie Gustav Mahler gesagt haben soll.  

 

Was treibt dich an?

Die Stille in mir, wenn ich arbeite. Ich will mich weiterentwickeln. Man muss neugierig und hungrig nach neuen Ideen und Techniken sein. Im Moment arbeite ich mit Keramik, einem Material, das für mich relativ neu ist.  Das ist spannend, man nähert sich anders, der Zugang ist oft freier, unbefangener. Es entsteht eine Leidenschaft, die dich dann nicht mehr loslässt. 

 

Deine Figuren sind oft farbig gefasst, mit Gold und Silber veredelt. Warum?

Weil es das Gegenteil von langweilig ist. Die Welt ist farbig, schillernd, voller Gegensätze. Diese Welt spiegelt sich auch in meinen Figuren wider. 

 

In deinem Atelier hängen viele kleine Figuren an einer Wand. 

Ich nenne sie die Wand der 1000 Ideen. Dort hängen Fundstücke, getrocknete Früchte mit integrierten figürlichen Szenen, sie erzählen neue Geschichten. Oder modellierte Brotköpfe, die verkupfert wurden. Die Wand soll weiterwachsen, ein Ort für das Sammeln, Erinnern und Erzählen sein.  

 

Welches Thema beschäftigt dich gerade besonders?

Ich befasse mich mit mehreren Themen. Die Wohnungsnot in Südtirol ist im Moment ein Thema. Die Frage, wo wir Menschen in Zukunft unsere Häuser hinstellen oder wie hoch wir sie irgendwann bauen müssen, untersuche ich in meinen Arbeiten. Ich bin als Bildhauer nicht an physische Regeln gebunden. Ich kann Häuser in Felsen setzen, auftürmen oder Autos übereinanderstapeln - ich kann überzeichnen, kommentieren und dadurch Fragen stellen.

 

 

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Holzschnitzerei

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